Zum Verständnis des Antichrist II

Das Wesen des Antichrist



Um das Rätsel des eigenen Daseins zu ergründen, forscht der Mensch einerseits tief in den kosmischen Raum hinaus nach Sonnen und Planeten, auf denen er ein ihm ähnlich Ich- begabtes Wesen zu finden hofft, und andererseits treibt er die Erforschung des Gehirns mit großer Anstrengung voran, um die Grundlage des Bewusstseins zu entdecken. So sucht der Mensch nach Außen und nach Innen, um auf die ihn tiefberührende Frage nach dem Sein eine Antwort zu erhalten.

In den alten Überlieferungen finden wir die Anschauung von der Entsprechung des Makrokosmos und des Mikrokosmos; so lesen wir im „Alten Testament“, dass Gottvater den Menschen nach seinem Bilde schuf. Im „Neuen Testament“ offenbart sich diese Weisheit in der Tatsache, dass sich in der größten Gottesferne der Vater in seinem Sohn Christus in der gewordenen Welt seiner selbst im ICH bewusst wird. Im ICH vereinigt sich das Weiteste und das Nächste, was seit altershehr im Symbol für die Sonne, dem Kreis mit dem Zentrum, oder dem Symbol einer „Blume“ zum Ausdruck gebracht wurde.

Über dem Eingang christlicher Kirchen erinnert sie daran , dass diese Entsprechung dem werdenden Sein als seine immanente Bewegung zugrunde liegt. Diese bildet die Voraussetzung für die beginnende Rückführung der Schöpfung zum göttlichen Vater, indem durch die von Christus eingeleitete Ausatmungsbewegung die gewordene Welt transformiert wird.
In diesem Erlösungsprozess und dem damit einhergehenden sich wieder Lösen des Welten-ICH von der Gebundenheit an die materielle Welt haben wir eine kosmische Bewegung. Um jedoch an die dadurch entstandene Erweiterung des Seins bewusst den Anschluss finden zu können, wurde für die Menschen die Imagination des Heiligen Grals in den Kulturstrom gestellt. Der Kelch, in dem der Christus das Abendmahl nahm, wurde dadurch, dass Joseph von Arimatha auf Golgatha das aus den Wunden des Erlösers rinnende Blut darin aufgenommen hatte, zum Heiligen Gral umgewandelt. So können wir in der Imagination des Grals den Christus unmittelbar an der Bildung eines Menschheitsbewusstseins wirkend erkennen, welches seine Grundlage in der Bewusstwerdung der die Erde umgebenden ätherischen Sphäre findet. Es ist die der physischen Welt angrenzende übersinnliche Welt, die wir als „Leben“ empfinden und wahrnehmen können und die den lebenden Formen, sie durchdringend und bildend, zugrunde liegt. Somit wird der Gral nicht als ein Strom, der in geheimer Gesellschaft gehütet wird, verstanden, sondern vielmehr als ein Gefäß, in dem die Bemühungen aller Menschen unabhängig ihrer Kultur- und Religionszugehörigkeit hineinfließen.
Da wir jedoch in einer polaren Welt leben, begann sich zu der Erlösungsbewegung der Schöpfung eine dazu wie gespiegelte Welt zu entfalten, die wir mit dem Namen des „Antichrist“ verbunden haben. (Siehe Info3 7,8/99)

Das Wesen des „Antichrist“
Betrachtet man, wie uns die Versuchungen in ihrer mannigfaltigen Art entgegentreten, so erkennen wir in ihnen immer zwei Aspekte: Es sind die Extreme, die ihrer Grundtendenz nach entweder auflösen oder verhärten und die Rudolf Steiner als luziferische und ahrimanische Wesenheiten bezeichnet. So wird einerseits versucht, die Erde in ihrer Schwere und ihren gewordenen Formen zu fliehen und andererseits besteht die Gefahr, ihr zu verfallen. Das Ziel der Entwicklung ist jedoch ein Drittes, ein Mittleres.
Der innere Entwicklungsweg zur Realisierung dieser Mitte geht über die Entwerdung von allem Bekannten zur Bildung eines Seelenraumes, welcher leer und rein von allen Vorstellungen ist. In der uns umgebenden Himmelsbläue haben wir eine äußere Entsprechung zu diesem inneren Erleben der Seele in ihrer Reinheit und Unberührtheit von Gewordenem. (Siehe Info3 2,3/99) Diese Erfahrung wurde auch als die der „kosmischen Sophia“ oder der „Mutter des Himmelsraumes“ bezeichnet. In ihr finden wir die Seelenkräfte des Ahriman und Luzifer in ihrer Grundpolarität, in der des Seins und des Nicht-Seins, die sich gegenseitig in Harmonie ergänzen. Aus dieser Ausgeglichenheit der Mitte erstrahlt das lebendige Licht, und wir schauen darin das kosmische ICH, den Christus, in dem wir die Entsprechung zu unserem Erden-Ich erkennen. Dadurch verwandelt sich die innere Sichtweise. Die äußere uns umgebende Welt der Erscheinungen wird als ein Phänomen der sich darin ausdrückenden geistigen Wesenheiten geschaut, während die geistige Welt substantiell wahrgenommen wird. Durch diese Anschauung werden die beiden Welten einander näher gebracht und durchdringen sich auf der Ebene des lebendigen Lichtes, im Ätherischen. So schaffen wir durch die verwandelte Sichtweise mit dem Christus an der Ausgestaltung seines ätherischen „Leibes“.
Im Erleben der Sophia haben wir die harmonisierende Kraft, aus deren Mitte das wesenhafte Licht aufleuchtet, wodurch die beiden polaren Wesenheiten in ihrer Einseitigkeit zu Christus hin geführt werden, um durch ihn ihren Ort und ihre Aufgabe zugewiesen zu bekommen.
Doch während sich in der Erfahrung der Sophia Luzifer und Ahriman in Harmonie gegenseitig ergänzen, wirken sie in der gewordenen Welt in der Entfaltung ihrer Einseitigkeit. So haben wir immer sowohl in den uns umgebenden Formen als auch in unserem Seelenerleben zugleich das Wirken beider polaren Kräfte, jedoch verschieden stark. Die Versuchung des Menschen besteht darin, dass sich sein Ich-Wesen entweder mehr der einen oder anderen Seite zuwendet und so seine ruhende Mitte zu verlieren droht.
Parallel und wie gespiegelt zu der Erlösungsbewegung durch den Christus begann sich seit der Zeitenwende eine Gegenwelt zu entfalten, die die frühen Christen die des „Antichrist“ nannten. Darin begegnet uns wiederum eine Dreiheit, die von Luzifer, Ahriman und Antichrist.
In ihr erkennen wir, wie sich die beiden Polaritäten des Luzifer und Ahriman, ohne ihre Einseitigkeit aufzugeben, für ein gemeinsam zu erreichendes Ziel im Antichrist verbinden, um unmittelbar die Mitte des Menschen anzugreifen, indem sie wie gleichzeitig von beiden Seiten auf ihn einwirken. Dadurch wird das ruhende Zentrum durch den entstehenden Spannungszustand wie durchsetzt und es droht dessen Zerrüttung. In diesem Zustand wird das lebendige strahlende Licht der Mitte in ein geronnenes, fließendes grelles Licht umgewandelt, welches die Grundlage sowohl für das zu entstehende intellektuelle Denken, als auch den zu werdenden „Leib“ des Antichrist bildet.
Was den Antichrist für die Menschen so verführerisch macht, ist die Tatsache, dass er die polaren Seelenkräfte wie zu einer Mitte vereint und dadurch nicht von außen als das Böse an die Menschheit herantritt, sondern als eine dem Christus äußerlich ähnliche, dem Licht verwandte Wesenheit, die der Entwicklung als zukunftsweisend und förderlich erscheint.
Durch die beginnende Zerrüttung der Mitte besteht die Gefahr, dass sich das Tor zu den dunklen unbewussten Kräften unserer Seele öffnet. Diese werden in der Imagination als das „Tier“ geschaut, das wie eingerollt am Grunde liegt, sich aufrichtet und um die Mitte sich emporwindend das Ich unmittelbar zu bezwingen droht. Wir hätten nicht die Kraft in uns, diesem Angriff etwas entgegenzusetzen, wenn der Christus nicht an unserer Seite wäre, denn die Imagination des „Tieres“ wird in der Seele als „das Böse an sich“ erlebt.

Da wir jedoch in einer Welt leben, deren Existenz auf Polarität beruht, werden wir dem Antichrist nicht gerecht, wenn wir ihn ausschließlich als das „Böse an sich“ verstehen, denn um den Christus erkennen zu können und uns aus innerer Freiheit für ihn zu entscheiden, brauchen wir die Polarität des Antichrist.
So kann das Anliegen nicht sein, die Gegenkräfte auszugrenzen, sondern sie zu integrieren, um ihnen ihren Platz zuzuweisen, auf dem sie dem Ganzen förderlich dienen können. Die Frage, ob der „Antichrist“ eine eigene Existenz besitzt oder „nur“ die Abwesenheit des Guten sei, verliert dadurch ihre vorrangige Bedeutung und relativiert sich im gegenwärtigen Erleben und der erkannten Notwendigkeit des entsprechenden Handelns.
So ist es von Bedeutung, ein Vertrauen in das Gute zu haben und in dessen Ziel und Vollendung. Denn, wenn wir dasjenige, was wir als die Gegenkräfte erleben, in unserer Anschauung als das „Böse“ isolieren, verleihen wir ihm dadurch eine eigenständige Macht über uns.
Aus der Kraft der Imagination des Grals, in dem wir den Christus unmittelbar wirkend erkennen, kann uns dieses Vertrauen in das werdende „Gute“ zuströmen, um dem Antichrist mit den harmonisierenden und positiven Seelenkräften unseres Wesens zu begegnen, der seine Verführung im Verlauf der Kulturentwicklung entsprechend dem Bewusstseinszustand des Menschen jeweils unterschiedlich entfaltet.


Die Verwandlung der polaren Anschauung
Wir haben den Wandel des menschlichen Bewusstseins vor der Zeitenwende im ersten Teil behandelt, wie es zuerst offen für die geistige Welt war und einen mehr vertikalen Charakter hatte, indem es in den Polaritäten von oben und unten, Himmel und Erde, Licht und Finsternis und Gut und Böse lebte. Das Erleben der physischen Welt bestand mehr in den Imaginationen von den im Äußeren wirkenden Wesenheiten.
Mit dem sich-Nahen des Welten-ICH und dem Erwachen des Erden-Ich-Bewusstseins begann sich das „Himmelstor“ zu schließen und das vertikale Verhältnis in ein horizontales von Ich und Du, männlich und weiblich, West und Ost und innen und außen überzugehen. In dem Prozess der zunehmenden Isolierung vom Umraum entstand ein Wahrnehmen, in dem die Welt nicht mehr imaginativ als Wesenhaftes, sondern in festumrissenen Formen begrifflich erfasst wurde.

Dadurch begann sich das Erleben der Welt auf den nun entstehenden Innenraum zu beziehen, was wiederum die Voraussetzung für die Bildung der Ich-Bezogenheit der menschlichen Seele war. In dieser Absonderung vom Umraum und der damit verbundenen Bildung des Innenraumes haben wir den Beginn der Entfaltung des intellektuellen Denkens, welches nicht mehr wie in frühen Zeiten unmittelbar im Schauen die Gedanken der Welt zu erfassen vermochte, sondern sie wie gespiegelt in der Abgeschlossenheit des Leibes wahrnimmt.
In dieser Isolierung von der geistigen Welt liegt jedoch keimhaft die Möglichkeit zur Entfaltung des Selbstbewusstseins und der inneren Freiheit, aus der heraus sich der Mensch dem Christus wieder anzuschließen vermag, um mit ihm, nun jedoch als ein bewusstes Ich-Wesen in der Sphäre des Ätherischen einen „Leib“ zu bereiten, in welchem der Christus sich uns dann offenbaren kann.
Wenn der Mensch die Freiheit des eigenen Selbstverständnisses erreicht hat, besteht jedoch die Versuchung, anstatt die Fähigkeit des Intellektes zu transformieren, diesen weiterhin für seine egoistischen Vorstellungen zu verwenden, um dadurch das Denkbare unabhängig moralischer Werte auf der Erde zu realisieren. Dies jedoch ist der Anfang der Bildung eines „Leibes“, in dem der Antichrist seine Inkarnation zu finden sucht.
Wir können in der Geschichte beobachten, wie sich seit der Zeitenwende das intellektuelle Denken erst langsam, dann immer schneller entfaltet und im Kulturleben an Bedeutung gewinnt. In den ersten drei Jahrhunderten breiten sich noch unerkannt seine Wurzeln aus, um dann bis ins 13. Jahrhundert den sichtbaren Stamm emporzutreiben, der dann am Beginn des 15. Jahrhunderts seine Krone in den äußeren Kulturraum auszubreiten beginnt.
In den Seelen der Menschen lebte in den ersten Jahrhunderten nach Christus noch der Nachklang des Wissens um den Zusammenhang zwischen geistiger und physischer Welt, aus dem heraus die Ein- und Ausatmung des Weltenwortes erlebt werden konnte. So hatten die Ur-Christen noch ein kosmisches Verständnis des Ereignisses auf Golgatha, was sich im 4. Jahrhundert mit der Entfaltung des abstrakten Denkens zu verlieren begann, so dass man dann vermehrt die Geburt des Jesus zur Weihnachtszeit, und nicht mehr wie zuvor die Geburt des Christus in der Zeit der Epiphanie, wie es heute noch in der Ostkirche lebt, zu feiern begann.
Das intellektuelle Denken erreichte in der Zeit der Scholastiker in den Persönlichkeiten des Albertus Magnus und Thomas von Aquin, die im 13. Jahrhundert wirkten, einen gewissen Höhepunkt. Das Denken richtete sich auf theologische Inhalte, die als Überlieferungen vorhanden waren, und jetzt das Dogma jener Zeit bildeten. Noch war die innere Freiheit, aus sich heraus die Dogmen kritisch zu untersuchen, nicht gegeben, doch stellt Thomas von Aquin am Ende seines Lebens, welches dem intensiven gedanklichen Auseinandersetzens mit religiösen Fragen gewidmet war, auf Grund einer geistigen Erfahrung fest, dass all seine Tätigkeit hinter dieser einzigen unmittelbaren Erfahrung wie nichtig erscheint.
So sehen wir, wie als Ausdruck eines beginnenden Vergessens zu dieser Zeit mit den gegebenen Möglichkeiten des Denkens der Anschluss an die geistigen Ursachen der Welt zu finden gesucht wurde. Darin erkennen wir, wie bereits ein Tiefstand in bezug eines wirklichen Erlebens der geistigen Welt eingetreten ist.
Um diesem Vergessen entgegenzuwirken, sehen wir, wie vor aller Welt das Gralsmysterium, das durch die Jahrhunderte gehütet und bewahrt worden war, wie aus unterirdischen Strömungen durch verschiedene Dichter entfaltet wird, und am Anfang des 13. Jahrhunderts auf der Wartburg, auf der die Heilige Elisabeth von Thüringen lebte, durch Wolfram von Eschenbach in der mitteleuropäischen Kultur an die Öffentlichkeit gebracht wird. In der Gralsdichtung werden wir auf eine Strömung innerhalb der christlichen Kultur, doch abseits der anerkannten Kirche aufmerksam gemacht, die ihr Bewusstsein ganz auf das reine und lebendige Licht Christi ausrichtet. Dieser Strom wartet aus der ihm innewohnenden Christussehnsucht nicht auf einen in der Zukunft kommenden Christus, sondern strebt ihm aus innerer Aktivität heraus entgegen und trägt dadurch zu seiner Offenbarwerdung in der Gegenwart bei. So tauchte diese Imagination im Tiefpunkt der Kultur auf, um einerseits dem Vergessen entgegenzuwirken und andererseits der neuhervorgehenden Kultur ein Bild als Keim des zu Werdenden zu geben, um sich sodann wieder für die äußere Anschauung zu verbergen.

Innenwelt wird zur Außenwelt
Indem die Durchdringung der Materie durch das Christus-ICH die beginnende Transformierung des physischen Daseins einleitete, begann auch wiederum das horizontale Verhältnis der Menschenseele zur äußeren Welt, von Ich und Du und männlich und weiblich, in ein vertikales von oben und unten, von bewusst und unbewusst überzugehen.
Im 15. Jahrhundert war dieser Prozess des sich Erlebens in der Vertikalen bis zu einem gewissen Grade vollzogen, worin wir eine Entsprechung zu dem Seelenzustand des frühen Menschen haben. Der Unterschied besteht jedoch darin, da in der Isolation vom Umraum inzwischen der Seeleninnenraum ausgebildet worden war, dass die Seele nicht, wie bei den frühen Menschen, in die Raumesweite geführt, sondern an den Grenzen des Hauptes wie gespiegelt wurde.
Erlebt sich die Menschenseele in der Vertikalen, so erfolgt dadurch gleichzeitig die Erweckung des oberen und unteren Poles; im Haupt die Bewusstwerdung seiner selbst im Ich, in welchem wir das Abbild der Sonnenwesenheit haben, und im unteren die Erweckung der unbewussten Kräfte unserer Seele, die in der Imagination des „Tieres“ aufsteigen. Diese entstehende Polarisierung von oben und unten ermöglicht die Erweckung der Mitte, das Aufleuchten des Grals im Herzen, in dem wir nicht das Abbild, sondern den Keim der Sonnenwesenheit, des Christus selbst haben. Der Bewusstwerdung dieser Mitte stehen jedoch die Kräfte des „Antichrist“ entgegen, indem durch den „Spannungszustand“, der durch das gleichzeitige Einwirken von Ahriman und Luzifer entsteht, das lebendige Licht gerinnt, wodurch das freie Denken gebunden, das „Tier“ jedoch entbunden wird.
In den Bildern des Malers Hieronymus Bosch, die zu dieser Zeit gemalt wurden, wie dem Bild „Der Landfahrer“, den zahlreichen Darstellungen der Versuchungen und dem Bild „Die Anbetung der Könige“, finden wir diese in der Seele wirkenden Kräfte eindrücklich dargestellt.

"Der Landfahrer" von Hieronymus BoschLassen wir die Gestalt des „Landfahrers“ im Vordergrund des Bildes auf uns wirken, so scheint es, als wäre sie aus den Verhältnissen der sich im Hintergrund noch auslebenden Seelenleidenschaften herausgewachsen, die ihm aus dem neugewonnenen Bewusstsein heraus schon zum Objekt seiner Anschauung geworden sind. In diesem sich aufrichtenden stärker werdenden inneren Licht wird jedoch auch das „Tier“, das am Grunde der Seele ruht, geweckt und beginnt sich aufzurichten und den Menschen zu bedrängen, was wir in den Versuchungsbildern von Hieronymus Bosch vielfach zum Ausdruck gebracht sehen.

In dem Bild „Die Anbetung der Könige“ fügt Hieronymus Bosch neben den „Drei Königen“ aus dem Morgenland, die dem Kinde ihre Gaben reichen, eine uns unbekannte Gestalt hinzu, die in ein rotes Tuch gehüllt ist, aus dem nach unten ein Gurt hervorschaut, an dessen Ende eine goldene Glocke hängt. Auf dem Haupt trägt sie eine „Dornenkrone“, aus der eine blaue Blume herauswächst. Durch diese Symbole wird auf den vollzogenen christlichen Einweihungsvorgang hingewiesen, der diese Gestalt als einen neuen Vertreter des Christus auf Erden ausweist, einen Nachfolger des Joseph von Arimatha, des „Vierten Königs“.
"Anbetung der Könige" von Hieronymus BoschSo können wir in der Bildsprache von Hieronymus Bosch eine Dreiheit dargestellt finden, das Spannungsverhältnis von bewussten und unbewussten Seelenkräften und deren Möglichkeit der Verführung, so wie ein Drittes, das wie zukunftsweisend durch den „Vierten König“ dargestellt wird und auf die Kraft der Mitte hinweist, aus der sich der Gral in dem sich die individuelle Beziehung eines jeden einzelnen zu Christus ausdrückt, auf Erden zu entfalten vermag.
Wir können feststellen, dass in diesem Zeitraum sowohl eine Verwandlung des Weltbildes als auch der Lebensverhältnisse eintritt. So war die Bewusstwerdung des in sich ruhenden Ich-Bewußtseins die Voraussetzung zu der von Kopernikus gebildeten Anschauung, dass die Sonne in sich ruhe und sich nicht, wie bisher geglaubt wurde, um die Erde drehe. Es ist die Zeit der Entdeckungen und Erfindungen, die den Vorstellungshorizont der damaligen Menschen erweiterte und die äußere Entsprechung zu dem sich entfaltenden Bewusstsein war. Aus der sich gestaltenden Vertikalen heraus wurde der Horizont nach Osten und Westen ausgeweitet, der Seeweg nach Indien gefunden und Amerika entdeckt.
So erlangt der Mensch in der Zeit der Renaissance die Fähigkeit, nicht nur eine empfindende Beziehung zu der Innen- und Außenwelt zu haben, sondern eine losgelöstere, freiere zu entwickeln, aus der heraus er sowohl sein Seelenleben, als auch die in der Natur waltenden Gesetze durch das erwachte Bewusstsein zu erkennen vermag, so dass Rudolf Steiner den Anfang des 15. Jahrhunderts als den Beginn einer neuen Kultur bezeichnet, der der Bewusstseinsseele.

Im Aufleuchten des Selbstbewusstseins und der damit verbundenen Bewusstwerdung der Polarität von oben und unten, von Gut und Böse erwächst die Freiheit, diese polaren Kräfte aus dem Ich heraus in der Waage zu halten und so die Herzenskräfte der Mitte zu beleben. Auf dieser Bewusstseinsstufe wird der Mensch bestrebt sein, den inneren Reichtum seiner Wesenheit, welchen er im Laufe seiner Entwicklung in sich aufgenommen hat und der die Grundlage seiner Ich-Werdung bildet, wie aus sich heraus wieder in die Welt hinausfließen zu lassen und so mitschaffend an der Welt tätig zu werden. Dieses kann auf zweierlei Arten geschehen; entweder wird das Innere durch das Tor des Ich-bezogenen, abstrakten Denkens in die Welt gestellt oder im selbstlosen Handeln durch das Tor der Mitte, des Herzens geoffenbart.


Aus den Herzenskräften heraus können die der Welt innewohnenden Ideen ergriffen werden, um dann im Einklang mit den in der Natur wirkenden Wesenheiten imaginativ mitzubilden, die Erde mit dem Christus zu einer neuen Sonne hin zu verwandeln. Doch da aus der Gesetzmäßigkeit der inneren Entwicklung heraus das Aufleuchten des Selbstbewusstseins im Menschen zuerst im oberen Pol des Hauptes verwirklicht wird, in dem wir das Abbild und nicht wie im Herzen den Keim des Christus-ICH haben, wird die zu werdende Kultur durch dieses Tor gestaltet.
So wird durch die beginnende Verobjektivierung der eigenen Wesenheit zuerst der physische Leib, der jedoch nicht als eine Offenbarung des Lebens, sondern in seiner Vergänglichkeit und in den ihn beherrschenden Naturgesetzen erkannt wird, in den Formen der Technik aus sich heraus in die Welt gestellt. Da diese jedoch aus dem vom Umraum isolierten Denken geschaffen worden sind, können sie sich nicht in die große Harmonie der Natur integrieren, wodurch sich eine neue Welt zu bilden beginnt, die die Erde nicht zu eine Sonne hin zu verwandeln vermag, sondern zu einem neuen Haupt im Kosmos.
Darin haben wir die Anfänge einer sich bis in unsere Gegenwart hinein entwickelnden Kultur, der die Keime zur Schaffung eines Leibes für den Antichrist in sich trägt.


Zum Verständnis des Antichrist III Artikel von Zoran Perowanowitsch Buchvorstellung