Die innere und äußere Ebene des Dialogs
Seit Jahrzehnten ist mit dem wachsenden Bewusstsein der einen Menschheit das Bedürfnis unter den Vertretern der verschiedenen Religionen gewachsen, in einen Dialog zu treten. Und so wie die Erde und das damit zusammenhängende Ich-Bewusstsein unseren gemeinsamen Grund und Boden bilden, so wissen wir auch intuitiv um unsere gemeinsamen kosmischen Wurzeln. Dieses Wissen lebt in uns unabhängig davon, wie wir uns äußerlich durch die eigene Person- oder Kulturzugehörigkeit auszudrücken gewohnt sind.
Es ist nur natürlich, dass die Kulturen unter verschiedenen Bedingungen unterschiedliche Bedürfnisse, Vorstellungen und Bilder für ihre spirituellen Erlebnisse bilden. Doch obwohl die unterschiedlichen Religionen auf einem gemeinsamen Boden stehen, sollte daraus nicht gefolgert werden, dass sie alle das gleiche Ziel anstreben und die Unterschiede nur in der Ausdrucksform bestehen. Um diese Anschauug verständlich zu machen, möchte ich auf eine zweiten Ebene innerhalb des sich gegenwärtig vollziehenden Dialogs hinweisen, die mir nicht genügend Beachtung zu finden scheint.
Auf der äußeren Ebene, die wir im Allgemeinen mit der Vorstellung des Dialogs verbinden, begegnen sich Menschen mit individuellem Hintergrund und verschiedenen Tendenzen, wodurch das Anliegen und die Zielsetzung sehr mannigfaltig sein werden. Diese reichen vom Bemühen um einen kleinsten gemeinsamen Nenner, vom Herausstellen der Unterschiede, vom Absolutheitsanspruch der eigenen Religion bis zu einer Verneinung der Unterschiede im eigentlichen Sinne. Da es nur eine Wahrheit gäbe, so wird argumentiert, würden sich alle Religionen und spirituellen Strömungen auf diese eine „Urerfahrung“ beziehen, wenn sie auch, um den unterschiedlichen menschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, verschiedene Ausdrucksformen angenommen haben. Es ist eine Vorstellung, die davon ausgeht, als wäre die Wahrheit ein „kosmisches Meer“, in das wir, indem wir nur unsere Gedanken beruhigen, bis auf den Grund schauen können, um das Mysterium des Daseins im Ganzen zu erfassen.
In einem Vortrag deutet Rudolf Steiner auf die Existenz anderer Welten hin, die noch jenseits von den uns auf der spirituellen Suche zu Erkennenden liegen. Nur die allergrößten Eingeweihten können davon, so Rudolf Steiner, eine entfernte Ahnung haben.1 Wir spüren in diesen Worten die unermessliche Dimension eines Mysteriums, das uns immer ein lebendes Rätsel ist.
Das Gemeinsame zu betonen ist sicherlich bei der Ausgestaltung des sozialen Lebens eine wichtige Voraussetzung. Doch es sind die Unterschiede, die zum Verständnis der Entwicklung des Menschen in der Zeit, der Zusammenhänge und Abhängigkeiten der einzelnen Wege untereinander führen und einen fruchtbaren inneren Dialog erst ermöglichen. Diese auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, mit dem Hinweis auf die allen spirituellen Strömungen zugrundeliegende „Urerfahrung“ zu vernachlässigen, ist hier nicht förderlich.
Dieser tieferliegende sich vollziehende Dialog, wird nicht durch Vorstellungen, Neigungen der Personen oder Weltanschauungen, sondern durch die verschiedene Lichtqualität und den damit zusammenhängenden Willen einer Strömung und seinen Impulsen aus dem zu Werdendem bestimmt.
Die Ursachen der unterschiedlichen Weltanschauungen sind nicht nur darin zu suchen, dass ein durch Kulturzugehörigkeit bedingtes menschliches Verstehen eine objektive geistige Welt für sich unzulänglich interpretiert, vielmehr zeigt sich die sich dem Menschen offenbarende geistige Welt in einer für ihn bestimmten Qualität. Qualität und Wille bilden eine Einheit, denn die Qualität eines Wesens, einer Kultur oder Religion ist der keimhafte Wille zu der in ihnen liegenden Aufgabe.
Die Anschauung, dass der Vielfalt mannigfaltig anvertraute Aufgaben zugrunde liegen, findet auf der äußeren Ebene des Dialogs jedoch wenig Beachtung. Es ist, als würden wir das Licht nur in seiner Unsichtbarkeit akzeptieren wollen und seine sich in der Farbenvielfalt offenbarende Natur ausschließen.
Inzwischen ist auch die moderne Wissenschaft zu der Erkenntnis gelangt, dass allen Formen der Materie Licht zugrunde liegt. Welche Lichtqualitäten jedoch in dem Samen einer Eiche und in dem einer Rose wirken, dass sich so unterschiedliche Formgestalten entfalten können, ist unbekannt.
So werden wir der jeweiligen Religion nur gerecht werden können, wenn wir die in ihr veranlagte Lichtqualität zu verstehen suchen.
Jede Strömung dient zwar dem gleichen Ziel, hat jedoch in der Zeit, durch die unterschiedlichen Qualitäten, nicht die gleiche Aufgabe und somit auch unterschiedliche Zielsetzungen. So wie die einzelnen Menschen in ihrer Wechselwirkung zusammen die Entwicklung ermöglichen, so besteht zwischen den verschiedenen Kulturen eine ihrer Qualität im Bezug zum Ganzen entsprechende „Aufgabenteilung“, die nicht durch richtig oder falsch charakterisiert werden kann, sondern eher durch Verinnerlichen und Veräußerlichen, Bewahren und Realisieren.
Wie wir als einzelne Menschen in zweifacher Weise das Leben mitgestalten, indem wir es einerseits verinnerlichend „einatmen“, andererseits gestaltend „ausatmen“, so hat auch die Erde eine Nacht und eine Tag - Seite, eine östliche und eine westliche Hemisphäre. In der „Einatmung“ wird der Boden für den aus der äußeren Tätigkeit hervorgehenden Samen gebildet.
Eine Individualität wie Rudolf Steiners muss natürlich, um seine Erkenntnisse zu vermitteln, auf eine Sprache und Vorstellungen zurückgreifen, die einerseits von den Menschen seiner Kultur verstanden werden können, andererseits seiner Erkenntnis entsprechen. Doch diese Bilder sind nicht etwas Abstraktes, Beliebiges, sondern wurzeln tief in dem Willensimpuls dieser Kultur, gehen weit über die Tendenzen des Einzelnen hinaus.
Wäre Rudolf Steiner in der östlichen Hemisphäre geboren, hätte er nicht die gleichen Erkenntnisse über den Christus gewinnen können, wie es ihm im Westen möglich war. Denn das sich geistig Offenbarende hängt mit der Aufgabe und der sich daraus entfaltenden Erkenntnisfähigkeit der jeweiligen Kulturen zusammen.
So wurde die Tatsache des kosmischen Vorgangs der Menschwerdung einer Gottheit, welche im Christentum eine zentrale Stellung einnimmt, obwohl von den Weisen des Ostens prophetisch geschaut, dort nicht als ein zentrales Ereignis für die weitere Religionsentwicklung aufgenommen.
So können wir in den Schriften der Rigveda lesen, dass sich den heiligen Rishis, den Weisen der indischen Vorzeit, wenn sie in die wirkenden Kräfte des Alls hineinschauten, als Bild in der Seele der "Mann" gestaltete, der in der Sonne, in dem lebendigen Licht wohnt, das Wahre und Lebenbringende ist. Dieser „Mann“ in der Scheibe, so lesen wir, wird einst das Böse überwinden. Auch erkannten sie, dass der geheime Name des „Mannes“, der in der Sonne wohnt, ICH lautet.2
Der schöpferische Aspekt wurde in der Gottheit Vishvakarman ausgedrückt. Da für die Rishis, diese Gottheit den Ursprung der Materie bildet, nannten sie diese, den Allschaffenden. Den Gott Vishvakarman sahen sie, wie er sich einst aus den kosmischen Weiten der Erde nähern und für die Menschen eine Opfertat vollbringen wird, indem er sich bis in die Elemente hinein mit der Erde verbindet und in die Herzen der Menschen eingeht. Dieser Vorgang wird in den Hymnen der Rigveda gefeiert, indem sich der Gott Vishvakarman selbst in die Erde umwandelt.3
Die Erwartung, dass sich einst das Sonnenwesen selbst mit der Erde verbinden wird, zieht sich weiter durch die verschiedensten vorchristlichen Kulturen und mündet schließlich in dem Bild der drei Weisen, die, vor der Krippe kniend, dem Kind ihre Gaben reichen. Es ist die Geburt des Christentums, in der sich, die die Menschheitsentwicklung seit Urbeginn begleitende Prophezeiung erfüllt.
Die Seher des Ostens, deren Blick verstärkt zu den kosmischen Welten hin gerichtet ist, können den sich der Erde nähernden Gott schauen und seine Inkarnation prophetisch voraussagen. Die Schriften berichten weiter von dem Gott Krishna, dessen Leib in blauer Farbe dargestellt wird und der sich als der Geist der Sonne und des Werdens, also wirkend im Zeitenlauf zu erkennen gibt. Durch die Farbe Blau wird auf die Sphäre hingewiesen, in der die Gottheit Krishna geschaut werden kann. So entspricht die Farbe Blau der Astralsphäre, die sich in ihrem reinen Zustand als „Raumesbläue“ offenbart, weist aber auch auf den Übergang zu der Äthersphäre der Erde hin, die sich uns in der „Himmelsbläue“ kund tut. So wurde von den heiligen Seher des Ostens eine Gottheit geschaut, welche im Begriff ist, von der Astral- zu der Äthersphäre „herabzusteigen“, sich also der Erde zu nähern, um sich mit dem Zeitenstrom zu verbinden. Doch je näher diese Wesenheit der Erde kam, desto mehr entschwand sie der übersinnlichen, mehr dem Kosmischen zugewandten Schau der östlichen Weisen. Krishna „starb“ im Jahr 3102 v. Chr. und dadurch begann nach indischer Überlieferung das finstere Zeitalter, das Kali Yuga.
Was in der kosmischen Schau der östlichen Weisen als eine Verdunkelung erlebt wurde, wird aus einer mehr der Erde zugewandten Sicht als eine Aufhellung erfahren. Ab diesem Zeitpunkt beginnt mit dem nun stärker werdenden Ich-Bewusstsein in der Geistesgeschichte, das Geschichtsbewusstsein. Hatten die Menschen zuvor ein bildhaft-räumliches Wahrnehmen der Zeit, verwandelt sich dieses nun in einen linearen Strom. So finden wir ab dem Beginn des finsteren Zeitalters die ersten ägyptischen Überlieferungen von geschichtlichen Ereignissen und Namen der einzelnen Könige. Dieser Inkarnationsvorgang eines Gottes lässt sich durch die Geschichte weiter verfolgen.
Erst das Geschichtsbewusstsein ermöglicht die Entfaltung der westlichen Kultur und das Verständnis des Christentums und seiner Aufgabe in der Zeit.
Die östliche, ihrer Natur gemäß stärker zum kosmischen Sein hingewandte Seelenverfassung folgte dem Inkarnationsprozess nicht. Sie entwickelte eine spirituelle Sichtweise, welche der Zeit und somit dem eigenen Sein darin eine geringere Realität zubilligte. Dadurch wird in der östlichen Kultur für die Zukunft eine andere Seelenqualität vorbereitet als in der westlichen, die sich tief mit der Erde verbunden hat.
Die Annahme des Ostens, dass sich eine Entwicklung von unten nach oben, von der Erde zum Kosmos hin vollzieht, wird heute auch in spirituellen Kreisen des Westens oft wie selbstverständlich übernommen. Diese lineare Bewegung zieht sich aus der Entwicklung in der Zeit und den in ihr wirkenden rhythmischen Abläufen heraus und findet in den Naturprozessen und in der den Menschen als ganzes umfassenden inneren Entwicklung keine Entsprechung. Hier ist die Ursache der von östlicher Sichtweise geprägten Vorstellung zu suchen, dass den unterschiedlichen spirituellen Strömungen in der Zeit eine kosmische „Urerfahrung“ zugrundeliegt und somit die Unterschiede der Religionen keine wirkliche Realität in sich haben. In ihr sind Religionen nur kulturbedingte Ausdrucksformen dieser doch sehr abstrakten Vorstellung, der „einen Erfahrung“.
Der Westen hat die Idee der Menschwerdung des Sohnes tief in seine Kultur aufgenommen und die westliche Kultur ist ohne diese nicht denkbar.
Der Osten, in dessen Weisheit das Wissen um die sich der Erde nähernden Gottheit als Prophetie aufleuchtet, hat sie jedoch nicht als eine in der Geschichte sich dann vollzogene Tatsache aufgenommen. Der Grund dafür liegt in den zwei unterschiedlichen Aufgaben, die West und Ost für die Gesamtentwicklung der Erde innehaben. So schöpft die westlich-christliche-Spiritualität die Weisheit und den Willen für ihre zu vollziehende Aufgabe, die Umwandlung der Erde zu einer neuen Sonne, aus dem Wissen um die „Drei natürlichen Sonnen in der Welt“. Diese sind nach der Weisheit der Rosenkreuzern die kosmische Sonne als das Licht des Sohnes, aus dem alles geworden ist, die Sonne im Menschen als sein spirituelles Herz und vor allem aus dem Wissen um die unterste Sonne inmitten der Erde.
Die östliche Hemisphäre dagegen bereitet in einem Prozess der Verinnerlichung den Boden vor, einst den Keim der Arbeit an der Erde im Westen aufzunehmen, um ihn dann wiederum in einer „Ausatmungsbewegung“ der Äthersphäre der Erde einzuverleiben. Wir sehen so eine Bewegung des Gebens und Nehmens, des sich aus den verschiedenen Qualitäten gegenseitigen Befruchtens. So sind es gerade die unterschiedlichen Qualitäten, die den Entwicklungsprozess auf der inneren Ebene des sich unmittelbar vollziehenden Dialogs voranbringen.
Damit der Mensch bewusst diesen Willensstrom, diese Lichtqualität in der Kultur erkennen und mitgestalten kann, muss er zuvor in seinem Inneren die „drei Sonnen“ zu einem Willensstrom vereinen. Dazu ist es nötig, dass das Licht selbst, das auch in spirituellen Kreisen meist als etwas Abstraktes gehandhabt wird, Wesen wird.
Durch den Umgang mit dem abstrakten Licht und einer verstärkten Meditationspraxis können zwar Fähigkeiten erlangt, eine gewisse „Gehirnakrobatik“ die sich dann auch messen lässt, entwickelt und beherrscht werden, doch eine tiefgehende Umwandlung der Person ist dadurch nicht möglich. Erst durch einer Vertiefung der kosmischen Weisheit in der Zeit, vollziehen wir aus unserer Mitte heraus die Bewusstwerdung einer Wesenheit, die den zu werdenden äußeren Willensstrom der Menschheitsentwicklung bildet.
Dadurch erhält das oft in der östlichen Spiritualität formulierte Ziel der inneren Entwicklung, der im Begriff der „Leere“ ausgedrückt wird, einen anderen Stellenwert.
Der stehende Begriff der „Leere“ für den „Seinsgrund“ ist jedoch zu undeutlich, zu irreführend, da spirituelle Erfahrungen, die dieser Bezeichnung entsprechen, vielfältig sind. Wenn eine Ebene des Seins durchlebt wird, folgt eine Leere, die zugleich die nächste Ebene in ihrer Fülle hervorbringt.
Wenn z.B. ein Mensch mit seinem Astralleib und Ich aus dem physischen Leib herausgeht, so vermag er, wenn er einen gewissen Grad an seelischer Reinheit erlangt hat, die Sophiensphäre auf der ersten Ebene ihres Seins intuitiv als Leere, als reines Bewusstsein zu erfahren. Die Leere ist eine Realität dieser ersten Ebene nicht der Sophia selbst. Eine in der Zeit sich vertiefende Erkenntnis wird dann nicht nur das „Meer“, sondern auch aus dessen undifferenzierten Unendlichkeit „Keime“ hervorgehen sehen, die Formen des Lebens hervorbringen.
Wir können Übergänge als Leere erfahren, das Mysterium des „Seins“ jedoch nur als leer im Sinne von unfassbar, unbeschreibbar und leer von allen Bildern und Vorstellungen. Die Erfahrung der Leere ist somit mehr auf unser Erkenntnisvermögen bezogen, als auf die Qualität des „Urgrundes“.
Der Bewusstseinszustand der Leere hat keinen Selbstzweck, sondern ist eine Vorstufe, die Vorbedingung, um der wesenhaften Fülle teilhaftig zu werden. Hierin liegen viele Missverständnisse auf dem inneren Entwicklungsweg, deren Ursache unter anderem auch in den Verfallserscheinungen der spirituellen Weisheit zu suchen ist, denen nicht nur der Westen, sondern auch der Osten unterlag.
Eine gewisse Abstraktion der Vorstellung über den Geist ist zwar am Anfang der inneren Schulung, je nach der Veranlagung des Menschen, hilfreich, dient jedoch vorerst nur dem zu beruhigenden Vorstellungsleben. Wenn die Wahrnehmung subtiler wird, wodurch nicht nur das Haupt sondern auch die Seele vom Umwandlungsprozess ergriffen wird, erhält der abstrakte leere Geist Farbe, Seelentiefe. Durch weitere Vertiefung des Seelenlebens offenbart sich das spirituelle Herz, die innere Sonne, als die Quelle des Ich-Bewusstseins. Dadurch erlangen wir die Fähigkeit, einerseits uns selbst als Wesen zu erfahren, andererseits Wesenhaftes zu schauen, denn die geistige Welt offenbart sich nicht nur in Vielfalt, sie ist Vielfalt, sowie Einheit in der Vielfalt, worin gerade die innerste Kraft der Entwicklung liegt.
Der Buddhismus wird als Vertreter, wenn überhaupt eines Gottes, dann eines unpersönlichen verstanden. Buddha selbst vermied jedoch solche Äußerungen, in denen eine Aussage die Verneinung einer anderen beinhaltete. So sagte er zum Beispiel nicht, dass das Göttliche unpersönlich, sondern, dass es weder persönlich noch unpersönlich sei. Eine solche Aussage wirkt jeder Vorstellung und Festlegung entgegen. Einem fortgeschrittenerem Schüler, der die polare Sichtweise in sich überwunden hat, hätte Buddha um ihn zur Harmonisierung dieser Spaltung zu führen gesagt, dass das Göttliche persönlich und unpersönlich zugleich sei.
Haben wir aus der Erfahrung der inneren Entwicklung heraus Erkenntnis über Bewusstseinsstufen und den entsprechenden Lichtqualitäten gewonnen, so offenbart sich uns der Kulturimpuls als ein durchchristeter Lichtstrom, in dem das zu Werdende als Wille in der Zeit wirkt.
Es mag sich heute noch fremd anhören, wenn davon gesprochen wird, wie dieses Licht über den Ostseeraum nach St. Petersburg fließt, dann weit in das sibirische Land vordringt, um ein Gebiet vorzubereiten, in dem sich die christliche und buddhistisch-taoistische Spiritualität durchdringen. Im chinesischen Volk liegt eine Qualität, die sich wie der Lichtleib des Christus ausmacht, jedoch ohne den Christus. Es bereitet sich eine Äthersphäre vor, um jenem Lichtwesen eine entsprechende Grundlage zu bilden. So wird sich eine „ätherische“ Kultur entfalten, in der der Glaube an Christus dem unmittelbaren Wissen um den Christus weichen wird.
Hätte der Osten die Idee der Menschwerdung des Christus vorzeitig aufgenommen, hätte sich das Christentum zu schnell entfaltet und die Erde wäre nicht durch die Hinwendung der westlichen Kultur in den Erlösungsprozess miteinbezogen worden.
Die wachsende wirtschaftlich-politische Bedeutung Chinas und dessen sich vertiefenden Beziehungen zu Russland, das Auftauen der Frosterde Sibiriens, sind als Zeichen, als Vorboten dieser spirituellen Entwicklung zu verstehen.
Wie zwei mächtige Ströme wirken das Christentum und der Buddhismus an der Kultur- und Bewusstseinsentfaltung der Menschen. Wenn hier Begriffe wie Christentum und Buddhismus benützt werden, dann beziehen sie sich auf die in ihnen liegenden Qualitäten und dem sich entfaltenden Willensimpulse und nicht auf die gegenwärtige äußere gewordene Form, die sich im ständigen Wandel befindet und das jeweilige Verständnis der Menschen wiederspiegelt.
Es mutet seltsam an, wenn sich im gegenwärtigen Dialog Menschen an dieser Oberfläche des Christentums ereifern, dadurch nicht zu dem eigentlichen Kern vorstoßen können und es dann als nicht zeitgemäß ablehnen. Hier müssen, Ausdrucksform, innere Qualität als wirkender Wille und die eigenen Voraussetzungen genauer differenziert werden. Aus diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, wenn Rudolf Steiner, da, so wird argumentiert, die Entwicklung weitergegangen ist, nur die Rolle eines Pioniers zugestanden werden kann. In all diesen Einschätzungen äußert sich ein geringes Verständnis der eigentlichen Quellen der Kulturentwicklung, an die Rudolf Steiner unmittelbar anschließt.
Erst in der Entfaltung der Bewusstseinsebene des „Geistselbst“, im Finden der Sophia, dem eigentlichen Anliegen der Anthroposophie, werden wir ein schauendes Wissen um den Christus, das Wesen des Lichtes und seine Bedeutung für die Kulturentwicklung entfalten können.
So beziehen die verschiedenen Religionen ihr Sein nicht aus einer vorgestellten „Urerfahrung“, sondern aus den in ihnen veranlagten Aufgaben, welche sich auf der inneren Ebene des Dialogs als unterschiedliche Lichtqualitäten und wesenhafter Wille offenbaren.
1 Rudolf Steiner, GA 94 S. 59
2 Walter Ruben, Beginn der Philosophie in Indien, Berlin 1955, S. 158 f.
3 Rigveda X, 81/82.
Artikel von Zoran Perowanowitsch | Buchvorstellung | |||||