Zoran Perowanowitsch

Über die „rechte Lehrer-Meditation“

Teil I


Für die Weihnachtsklausur 2012 wählte das Kollegium der „Freien Waldorfschule Karlsruhe“ das Thema Meditation. Eine der Fragestellungen innerhalb des Seminars war, wie man sich dem annähern könne, was Rudolf Steiner als „eine rechte Lehrermeditation“ bezeichnet.

Im folgenden Zitat sei ein Auszug dieser „Meditation“ wiedergegeben:

„Wir müssen auch innerlich, dem Gemüte nach, tatsächlich Anthroposophen sein im tiefsten Sinne des Wortes als Waldorflehrer und müssen Ernst machen können mit einer Idee, die auf anthroposophischem Boden wiederholt ausgesprochen worden ist, die für uns wichtig ist: Wir sind zu einer bestimmten Zeit heruntergestiegen aus den geistigen Welten in die physische Welt. Diejenigen, die uns als Kinder entgegentreten, sind später herunter gekommen, sie haben die geistige Welt noch eine Zeitlang durchlebt, in der wir schon hier in der physischen Welt waren. Es ist etwas ungeheuer innerlich Erwärmendes, etwas ganz in der Seele Wirkendes, wenn man in einem Kinde sieht ein Wesen, das einem etwas herunterträgt aus der geistigen Welt, das man nicht selbst mitgemacht hat in der geistigen Welt, weil man älter ist. Dieses Ältersein bedeutet für uns noch etwas ganz anderes. Wir empfangen mit jedem Kinde eine Botschaft aus der geistigen Welt über Dinge, die wir nicht mehr miterlebt haben. Dieses Bewußtsein gegenüber der Botschaft, die das Kind herunterträgt, das ist ein positives Gefühl, das in vollem Ernst Platz greifen kann in der Waldorflehrerschaft, das der abwärtsgehende Kulturverlauf bekämpft, sogar getreten hat...Solche Dinge werden praktisch, wenn wir sagen: Dieses Kind ist später heruntergekommen aus der geistigen Welt als ich selbst. Ich kann erraten aus dem, was es mir entgegenlebt, was geschehen ist in der geistigen Welt, nachdem ich selbst die geistige Welt verlassen habe. Daß wir das als lebendiges Gefühl in uns tragen, das ist eine rechte Lehrermeditation, von einer ungeheuer großen und starken Bedeutung. Und durch ein solches bestimmtes Ausleben des anthroposophischen Wesens werden wir in Wahrheit dasjenige, was Lehrer sind, die aus anthroposophischem Geist heraus wirken.“1

Das sich veräußernde Bewusstsein

Wir können uns dem Wesen eines Kindes in unterschiedlicher Weise nähern, um dem hier von Rudolf Steiner Geforderten zu entsprechen. Betrachten wir den Gang des Kindes, seine Art, den Fuß aufzusetzen oder andere Äußerungen seines Seelenlebens, so haben wir vordergründig sein individuelles Wesen und Schicksal vor uns. Wollen wir uns jedoch verstärkt den allgemeinen Impulsen, die ein Kind aus der geistigen Welt mitbringt, zuwenden, so ist es hilfreich, die in der menschlichen Bewusstseinsentwicklung und Kultur wirkenden Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, um dadurch die Anforderungen der Gegenwart zu verstehen. Denn diese sind innigst mit den geistigen Impulsen des Kindes verbunden.

Alles Leben auf der Erde und jede Kulturentwicklung sind nur durch die vier Elemente und deren Eigenschaften Erde (fest), Wasser (flüssig), Luft (gasförmig) und Feuer (Wärme) möglich. Sie sind Ausdruck verschiedener Qualitäten der geistigen Ebenen, die wir sowohl in unserem unmittelbaren Leben, als auch in der allgemeinen menschlichen Kultur -und Bewusstseinsentwicklung zu ergreifen suchen und sind deshalb die Grundlage der folgenden Betrachtung.

Zuerst können wir feststellen, das unsere physische Abhängigkeit zu dem jeweiligen Element umso größer ist, je feiner es wird. So können wir ohne feste Nahrung Wochen, ohne zu trinken Tage, ohne zu atmen nur Minuten überleben und, würde uns die Wärme entzogen, müssten wir sogleich sterben.

In der Geheimwissenschaft Rudolf Steiners werden die verschiedenen Entwicklungsstadien der Erde durch die Elemente, vom Feinen zum Festen, von der Wärme über die Luft zum Wasser und schließlich zur Erde dargelegt. Wir haben darin einen „Inkarnationsvorgang“ der Erde, der sich durch die menschliche Seele im Ergreifen des Körpers fortsetzt.

Verfolgen wir die geschichtliche Entstehung der Werkzeuge und technischen Errungenschaften, so können wir feststellen, dass sie ein Abbild dieses menschlichen Inkarnationsprozesses in seine Gliedmaßen sind.

Gehen wir in jene Zeit zurück, aus der die ersten Werkzeugfunde stammen, so begegnet uns der Faustkeil, der vor ca. 2 Mill. Jahren hergestellt wurde.

Ungefähr 400000 Jahre alt soll der älteste Speerfund sein, während die wesentlich jüngere Axt nach heutigen Angaben aus der Zeit um 40000 Jahre v. Chr. stammt. Der älteste Bogen wird auf die Zeit um ca. 30000 Jahre v. Chr. und eine Speerschleuder ungefähr auf die Zeit um 18000 Jahre vor unserer Zeitrechnung datiert.

Listen wir diese Funde in der zeitlichen Reihenfolge auf dann ergibt sich folgendes Bild:

Die menschliche Seele zieht langsam und weit von außen kommend in die Arme (1) ein und setzt, indem sie sich der Hände bewusst wird, als ältestes Werkzeug den Faustkeil (2) in die äußere Welt. Im weiteren Inkarnationsprozess ergreift der Mensch den Unterarm und entwickelt die Idee des geraden Werkzeuges, das er zum Schneiden, Schaben oder als Speer (3) verwendet. Das Erleben und Ergreifen des Ellbogengelenks, durch das sich zwei Geraden zueinander anwinkeln, führt zur Idee der Axt (4), die als erstes Werkzeug die Gerade überwindet, indem ein Stein rechtwinklig zur Halterung angebracht wird.

Das Gelenk des Ellenbogens ermöglicht das Heben und Beugen des Unterarmes. Doch um diese Bewegung zu vollziehen, sind Muskeln und Sehnen notwendig. Das Erleben des Verhältnisses vom Ober- zum Unterarm in der Anspannung und Lösung führt im weiteren Verlauf der Geschichte zum Bau des Bogens (5).

Das Ergreifen des Bewegungsablaufes des ganzen Armes findet schließlich in der Speerschleuder (6) seine äußere Entsprechung. Ein etwa armlanger Stock mit einem Haken am Ende wird benutzt, um den darauf liegenden Speer mit großer Kraft und Präzision weit zu werfen. Dabei wird der ganze Arm in den Bewegungsablauf einbezogen.

So sehen wir, wie der Mensch in der Folge des Inkarnationsprozesses seine Arme, in denen die physikalischen Gesetze der Welt wirken, in Form von technischen Geräten in die Welt heraussetzt und seine unmittelbare Umgebung zu gestalten beginnt.

Während die Arme vorwiegend der Arbeit dienen, liegt die Aufgabe der Beine, die der Mensch immer mehr ergreift, in der Fortbewegung. In der Art wie er durch die Geschichte seine Möglichkeiten Entfernungen zu überwinden erweitert, können wir feststellen, dass er darin ebenfalls den verschiedenen Elementarebenen folgt.

So überwindet er über einen großen Zeitraum Entfernungen zu Fuß, also mit seiner Muskelkraft auf der Erde gehend. Mit der Zeit baut er Flöße oder Einbäume, und erweitert, indem er sich dem Fließen des Wassers überlässt, seinen Horizont.

Später ergreift er die Windkraft, um mit Hilfe eines Segels sogar die Ozeane zu befahren.

In neuerer Zeit lernte der Mensch die Kraft der Wärme zu beherrschen und entwickelt mit deren Hilfe die Dampfmaschine, die er dann u.a. zum Antrieb von Fahrzeugen nutzt.

Diese Entwicklung vom Ergreifen des festen zum immer feineren Element können wir wiederum ebenfalls in Bezug auf die Technisierung der menschlichen Arbeit, beispielsweise des Kornmahlens, aufzeigen.

Über Jahrtausende hinweg wurde das Korn zwischen zwei aufeinander durch Muskelkraft bewegte Steine zu Mehl vermahlen. Erst ab der Geburt des Christus wird in relativ kurzer Zeit auf dem Gebiet des sich ausbreitenden Christentums nördlich der Alpen die Fähigkeit entwickelt, die drei der Erde folgenden Elemente Wasser, Wind und Feuer zum Antreiben einer Mühle einzusetzen.

Einzelne Wasser- oder Windmühlen werden in der Geschichte auch vor dem Jahre Null erwähnt, doch in ihrer allgemeinen Verbreitung sind sie nach der Geburt Christi in dem Raum des sich ausbreitenden Christentums nachzuweisen und zwar, so wie bei der Entwicklung der Fortbewegungsmittel - von festem zum immer feineren Element.

Die Anwendung der Wasserkraft stellt einen bedeutenden Wendepunkt in der menschlichen Kulturentwicklung dar an dem der Mensch eine äußere Naturkraft anwendet, um seinen Willen unabhängig von seiner Muskelkraft umzusetzen. Die erste Wassermühle nördlich der Alpen ist um das Jahr Null nachweisbar.

Im 12./13. Jahrhundert werden dann die ersten Windmühlen erwähnt. Ende des 18. Jahrhunderts lernt der Mensch sich die Kraft des Feuers dienstbar zu machen, so dass im weiteren Geschichtsverlauf die durch Dampfmaschinen angetriebene Mühlen entwickelt werden.

So sehen wir, dass die technische Entwicklung nicht einem Zufall, sondern nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten folgt, indem der Mensch lernt, die Kräfte der sich immer mehr verfeinernden Naturelemente zu nutzen.

Die bisher aufgezeigte technische Entwicklung ist jedoch nur als Folge eines jeweils entsprechenden menschlichen Bewusstseinswandels verständlich. Dieser führte dazu, dass sich auch die Art und Weise, wie der Mensch wieder die Anbindung an die geistige Welt suchte, angepasst hatte.

Betrachten wir im Weiteren die Entwicklung der Einweihungswege, so stellen wir fest, dass auch diese den Gesetzen der sich immer mehr verfeinernden Elementarebenen entsprechend folgte.

Einweihungswege

In den Einweihungsstätten vor Christus wurde der Einzuweihende in den Mysterienschulen über drei Tage in ein „Grab“ gelegt, um durch die sich bei diesem „Todesschlaf“ vollziehende Lockerung der übersinnlichen Leiber zur Anschauung der geistigen Welt zu kommen.

Seit Christus auf Erden gelebt hat, konnten sich nun Menschen unabhängig eines äußeren Lehrers unmittelbar an Christus wenden, ihre individuelle Einweihung, die verstärkt das Gefühlsleben (Wasser) ansprach, erfahren.

Die Individualität des Menschen machte sich durch die Jahrhunderte verstärkt geltend und so können wir in der Zeit um das 12./13. Jhdt., in der sich durch das Ergreifen des Elementes Luft die Windmühlen ausbreiteten, auch in der Architektur im Übergang von der Romanik zur Gotik eine tiefgreifende Veränderung feststellen. Während in der Bauformen der Romanik die runde, mehr fließende und sich einschließende Geste Ausdruck eines starken Seelen -und Gemütslebens ist, öffnet sich die Bauform in der Gotik steil aufstrebend in die Höhe, was Ausdruck der immer mehr erstarkenden Denkkräfte ist. Doch bevor diese Epoche versiegt erblüht sie noch einmal, um der nachfolgenden gleichsam einen Keim einzupflanzen. So entfaltet in dieser Zeit des Übergangs die christliche Mystik beispielsweise durch Meister Eckhart, Heinrich Seuse und Johannes Tauler ihre geistige Kraft, um schließlich langsam zu verlöschen. Zuvor wird der Menschheit jedoch das Ideal jener Zeit im Bild des „Heiligen Grals“ die Imagination der überfließenden Quellkraft, die aus dem unmittelbaren Christuserlebens hervorgeht, im Bild des „Heiligen Grals“ gegeben.

Dem Erstarken der bewussten Seelenkräften der Menschen wirkte die Kirche, statt ihm zu entsprechen, entgegen und so musste der neue Einweihungsweg der Rosenkreuzer, der dem Bedürfnis nach innerer Freiheit und selbständigem Denken entsprach, im Untergrund wirken.

Am Ende des 18. Jhdts., in dem sich durch das Ergreifen des Elementes Feuer, die Dampfmaschinen ausbreiteten, beginnt auch dieser Strom der Rosenkreuzer zu versiegen, da in ihm durch imaginative Bilder immer noch stark die Gemütskräfte angesprochen wurden, die sich jedoch im Laufe der Entwicklung, als menschliche Seelenfähigkeiten, immer mehr abschwächten.

Als „Vermächtnis“ der Rosenkreuzer erscheinen am Ende des 18. Jhdt. anonym eine Ansammlung von einzelnen Bildern und Texten, die zu dem Buch „Die geheimen Figuren der Rosenkreuzer“ zusammengefasst wurden.

Um der sich weiter verändernden Bewusstseinslage der Menschen gerecht zu werden, entwickelt Rudolf Steiner am Beginn des 20. Jhdts. den an die Rosenkreuzerweisheit anschließenden spirituellen Schulungsweg der „Anthroposophie“. In ihm werden die Seelenkräfte des reinen Denkens und Wollens zusammengeführt, was als ein feuriger Lichtstrom erfahren werden kann und von Rudolf Steiner als „Michaelseinweihung“ bezeichnet wird.

Fassen wir nochmal zusammen:

In den vorchristlichen Mysterien wurde der Einzuweihende in der „Grablegung“ der „Erde“ anvertraut. Im Christentum sucht der Mensch durch Läuterung seiner Seele, was sich in dem Ritual der „Wassertaufe“ ausdrückt, die Erfüllung in Christus. Ab dem 12./13. Jhdt. wurde der Weg über das Element Luft, d.h vorerst über die sich verstärkenden Denkkräfte gesucht, um dann mit dem Beginn der Michaelszeit ab dem 19. Jhdt. den Weg über das „Feurige“ zu suchen; denn im Erleben des sinnlichkeitsfreien Denkens, in dem das Denken und Wollen eins werden, leben wir im Element des lichten Feuers.

So folgten auch die sich jeweils an die Bewusstseinsentwicklung des Menschen anpassenden Einweihungswege den unterschiedlichen Elementarebenen vom festen zum immer feineren Element.

Wenn die bisher aufgezeigte Entwicklungsgesetzmäßigkeit ihre Richtigkeit hat, so muss sie sich auch in der Gegenwart und der sich abzeichnenden Zukunft erkennen lassen.

Dies stellt wiederum die von Rudolf Steiner in der „rechten Lehrer-Meditation“ angesprochene Grundlage dar, Zukunftsimpulse der Kinder aus der geistigen Welt besser verstehen zu lernen.

Dies wird Inhalt des zweiten Teils dieser Betrachtung sein.

1 GA 300a, „Konferenzen mit den Lehrern der Freien Waldorfschule in Stuttgart“ S. 167.

Lehrermeditation II