Novalis’ blaue Blume
In Novalis’ Dichtung und Prosa offenbart sich ein Meister der inneren Entwicklung. Sein ganzes inneres Leben war auf die blaue Blume, die Sophia, als Ideal der Seelenentwicklung gerichtet. Während wir uns der Zeit von Mariä Himmelfahrt nähern, teilen wir hier einen besonderen Blick auf den inneren Weg, den Novalis durchlief und vermittelte.
Die Reife und Weisheit der Schriften des jungen Menschen Novalis überraschen. Die einzelnen Aussagen über seinen inneren Weg zum Erkennen des ‹eigensten Selbst› sind jedoch verstreut und müssen erst wie einzelne Perlen zu einer Kette aneinandergereiht werden.
Den ersten Schritt markiert seine Feststellung, dass wir auf alles, was wir uns vornehmen, unsere ungeteilte Aufmerksamkeit richten müssen, denn «höchst merkwürdig ist es, dass der Mensch erst in diesem Spiele seine Eigentümlichkeit, seine spezifische Freiheit recht gewahr wird, und dass es ihm vorkommt, als erwache er aus einem tiefen Schlafe, als sei er nun erst in der Welt zu Hause, und verbreite jetzt erst das Licht des Tages sich über seine innere Welt».1 Damit spricht Novalis eine Geisteshaltung an, die heute von vielen Menschen angestrebt wird.
Achtsamkeit, Aufmerksamkeit und Hingabe
Durch den buddhistischen Mönch Thích Nhất Hạnh wurden breite Schichten der westlichen Gesellschaft mit dem Begriff ‹Satipatthana› vertraut, welcher die Grundlage eines bewussten Lebens beschreibt. Diese Geisteshaltung stellt den Inbegriff der buddhistischen Heilslehre dar, sodass Buddha sie als den einzigen Weg bezeichnete, der zur Läuterung des Geistes und zur Erlösung führt.
Der Begriff ‹sati› aus den Pali-Texten wird ins Deutsche mit ‹Achtsamkeit› und ins Englische mit ‹Mindfulness› übersetzt. ‹Sati› ist mit dem Verb ‹sarati›, ‹erinnern›, verwandt, was bedeutet, dass einem Menschen, der die innere Haltung des Sati entfaltet hat, auch längst vergangene Ereignisse noch gegenwärtig sein können.
Viele heutige westliche Menschen, die von dieser Geisteshaltung angesprochen werden, beziehen sich auf Jon Kabat-Zinn, einen US-Amerikaner, der als Begründer der modernen ‹Achtsamkeitslehre› gilt und sich auf diese buddhistische Lehre bezieht. Er definiert Achtsamkeit als «die Bewusstheit, die sich durch gerichtete, nicht wertende Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Augenblick einstellt».2
Die Differenzierung von ‹Achtsamkeit› und ‹Aufmerksamkeit› ist von großer Bedeutung für den Prozess der Erweiterung des Bewusstseins, da diese beiden Begriffe oft gleichgesetzt werden, ihrer Qualität nach aber verschieden sind. Während wir den Begriff der Aufmerksamkeit für einen eher aktiven Prozess gerichteter Bewusstheit verwenden, schwingt in dem Begriff der Achtsamkeit zu dieser aktiven eine hingebende, eher passive Bewusstseinseinstellung mit. In der Praxis wird dies jedoch vielfach nicht genügend berücksichtigt. Da Achtsamkeit und Aufmerksamkeit nicht entsprechend differenziert werden, besteht die Gefahr, dass auf dem Weg der Entwicklung das verstärkte Bemühen um die zuerst notwendige Geisteshaltung der Aufmerksamkeit übersprungen und die eher passive Haltung der Achtsamkeit vorweggenommen wird. Das kann dann jedoch dazu führen, dass der Mensch in die unmittelbaren Geschehnisse des Alltags hineinträumt.
Es wird die Tendenz bestehen, in diesem undifferenzierten Zustand zu verharren, in dem die ‹Geisteskraft der Aufmerksamkeit› und die ‹Seelenfähigkeit der Hingabe› unterschiedlich stark entfaltet sind, anstatt sich harmonisch zu ergänzen.
Dieses Missverständnis hat zur Folge, dass Menschen, die über Jahre die Achtsamkeitslehre praktizieren, nicht in der Lage sind, sich vergangener Ereignisse gegenwärtig zu sein. Das liegt daran, dass Erinnerung verstärkt durch Auf‹merksam›keit und weniger durch die innere Haltung der allgemeinen Achtsamkeit gebildet wird. Dieser Zusammenhang wird von Rudolf Steiner bestätigt: «Und je größer die ‹Aufmerksamkeit› ist, desto leichter trägt die Seele die Sinneserlebnisse als Erinnerungsvorstellungen im weiteren Leben mit.»3
Grundsätzlich wirken in jeder Seele als Voraussetzung für ‹Aufmerksamkeit› Antipathie- und für ‹Hingabe› Sympathiekräfte, die unserem Leben wie ein Magnet seine Richtung geben. Wenn die Antipathie, also die Distanzierung zum Leben, vorherrschend ist, wird unsere Seelenhaltung eher von ‹Aufmerksamkeit› bestimmt, während bei Sympathie die ‹Hingabe› im Vordergrund steht. Antipathie birgt die Gefahr der Verhärtung in sich, während übermäßige Sympathiekräfte dazu führen können, sich im Fluss des gegenwärtigen Geschehens zu verlieren. Dies kann insbesondere dann geschehen, wenn wir nach der Lehre der Achtsamkeit den Augenblick an sich als die einzige Realität verstehen.
Die Anweisung Buddhas, uns nur der Gegenwart zuzuwenden, da das Gewesene vergangen und das Zukünftige noch nicht ist, darf nicht absolut verstanden werden. Vielmehr drückt sich darin seine Weisheit aus, einerseits dem linear denkenden Verstand entgegenzukommen und andererseits dem unruhig zwischen den Zeiten springenden Vorstellungsleben entgegenzuwirken. Eine erweiterte Sicht auf die Zeit zeigt uns jedoch, dass der Augenblick aus der Berührung des Gewesenen mit dem zu Werdenden hervorgeht. Die Vergangenheit drängt durch die Kraft der vollzogenen Entscheidungen vorwärts, während das zu Werdende durch die keimende Kraft der Idee lenkend hineinwirkt.
Für eine spirituelle Entwicklung ist es notwendig, beide Seelenhaltungen, die der Aufmerksamkeit und die der Hingabe, die im Begriff der Achtsamkeit zusammengefasst sind, zunächst getrennt zu üben, um individuelle Veranlagungen auszugleichen und zu überwinden. Rudolf Steiner beschreibt die Notwendigkeit dieser Erkenntnis folgendermaßen: «Nur müssen die beiden Übungen die mit der Aufmerksamkeit und die mit der Hingabe abgetrennt voneinander gemacht werden; denn sie widersprechen einander. Erfordert Aufmerksamkeit jene höchste Anspannung, Konzentration nach einem Objekte hin also eine vertiefte Meditation , so erfordert jene Hingabe, passive Hingabe an den Strom des Daseins, unermeßliche Steigerung desjenigen Gefühls, das wir finden im religiösen Erleben oder in sonstiger Hingabe an ein geliebtes Wesen. Die Früchte, die der Mensch aus solch unermeßlicher Steigerung der Hingabe und der Aufmerksamkeit schöpft, sind eben, dass er sein geistig-seelisches Leben heraussondert aus dem Physisch-Leiblichen.»4
Das Wesentliche jeder spirituellen Entwicklung besteht in der Loslösung von der Identifikation mit unserer körperlichen Existenz und der darin verankerten Persönlichkeit. Selbst wenn wir etliche Wege gehen und uns um viele gute Eigenschaften bemühen, werden wir die innewohnende Freiheit der Seele nicht erfahren, wenn wir diese Ichzentrierung nicht überwinden. Es erfordert ein stetiges Bemühen um eine aufmerksame Haltung, selbst in Bezug auf vermeintlich Unbedeutendes wie das Setzen unserer Füße oder das Greifen nach einem Gegenstand, um voranzukommen. Wenn wir weiterhin die Beweggründe für unsere Gedanken, Empfindungen und Taten verstehen lernen, führt uns das allmählich zur Verobjektivierung unserer Person. In der wachsenden Gewissheit um unsere Freiheit beginnen wir den uns gegebenen inneren und äußeren ‹Ort› verantwortungsvoll anzunehmen. Weite und Stille ergreifen uns, ein bewusstes Sein, sodass wir uns voll Vertrauen an die im Leben wirkende Weisheit hingeben können. Wir müssen nicht mehr nach einem besseren fernen Land suchen, da wir erkannt haben, dass diese Suche in Wirklichkeit nur Ausdruck unserer eigenen Unruhe ist.
Aus dem Wissen um diese Zusammenhänge nennt Novalis den zweiten Schritt die ‹Hingabe› an die Welt: «Der erste Schritt wird Blick nach Innen, absondernde Beschauung unsers Selbst. Wer hier stehn bleibt, geräth nur halb. Der zweyte Schritt muss wirksamer Blick nach Außen, selbstthätige, gehaltne Beobachtung der Außenwelt seyn.»5
Durch das Erwachen unserer bewussten Beziehung zur Welt entfaltet sich ein harmonisches Seelenleben, und die meisten Menschen werden nichts weiter anstreben. Diejenigen jedoch, die eine innere Sehnsucht gleichsam wie eine Erinnerung an unseren geistigen Ursprung in sich wahrnehmen, werden weitere Schritte zu setzen suchen.
Philosophie
«Die blaue Blume sehn ich mich zu erblicken. Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anderes dichten und denken»6, sagt Novalis und nennt mit der Entfaltung der ‹Aufmerksamkeit› und ‹Hingabe› die ersten zwei Schritte der inneren Entwicklung, die ihn zu der Erfüllung seiner Sehnsucht geführt hatten.
Im Vorgeburtlichen haben wir uns selbst den individuellen Weg gegeben, indem wir im Inkarnationsprozess unserem Schicksalsweg gemäß aus dem Menschheitspotenzial Seeleneigenschaften zu unserer Persönlichkeit geformt haben. Zunächst führen uns unbewusst Antipathie- und Sympathiekräfte durch das Leben, die wir schließlich durch bewusste Arbeit zur ‹Geisteskraft der Aufmerksamkeit› und zur ‹Seelenkraft der Hingabe› umwandeln. Diese bilden gleichsam als neue Wahrnehmungsorgane die Grundlage eines jeden spirituellen Bemühens. Durch ‹Aufmerksamkeit› läutern wir unsere Person, um uns dann mit einer ‹reinen Sicht› der Welt hingeben zu können.
Diesen Weg nennt Novalis in einem Brief an Friedrich Schlegel ‹Philosophie›: «Mein Lieblingsstudium heißt im Grunde wie meine Braut. Sophia heißt sie Philosophie ist die Seele meines Lebens und der Schlüssel zu meinem eigensten Selbst.»7
Novalis’ Verständnis der Philosophie ist ein Akt der unmittelbaren Verwandlung der Seele, die er in drei Bewusstseinsstufen unterteilt:8
1. ‹Wachen›
2. ‹Wachsein›
3. ‹Bewusstsein›.
Auf der ersten Stufe des ‹Wachens›, auf der wir unsere Aufmerksamkeit schulen, identifizieren wir unser Ich mit dem physischen Körper, den wir uns aus den Elementen der Erde aufgebaut haben und einst wieder zurückgeben werden. Jedoch ‹haben› wir einen Körper, ‹sind› aber nicht der Körper. Das ‹Wachen› erfahren wir im Wesentlichen durch unsere polare Beziehung von Innen- und Außenwelt. Um das ‹eine› Leben, das sich zur gleichen Zeit in beiden Polen offenbart, zu erkennen, müssen wir jedoch dieses ausschließlich polare Erleben überwinden. Alexander von Humboldt beschreibt diesen Vorgang in einem Brief an Caroline von Wolzogen, in dem er berichtet, wie er tief in seiner Seele erkannt hat, dass von «Pol zu Pol nur ein Leben ausgegossen ist in Steinen, Pflanzen und Tieren und in des Menschen schwellender Brust. Überall ward ich von dem Gefühl durchdrungen, wie mächtig jene Jenaer Verhältnisse auf mich gewirkt, wie ich, durch Goethes Naturansichten gehoben, gleichsam mit neuen Organen ausgerüstet worden war.»9
Werfen wir durch die Kraft der ‹Aufmerksamkeit› ein Licht auf die Impulse unseres Denkens, Fühlens und Wollens, so löst sich mit der Zeit der Selbstbezug auf und die Hingabefähigkeit entfaltet sich, wodurch sich unser Bewusstsein über den Körper hinaus weitet. Es entsteht um uns herum ein ‹Ich-Raum›, in dem sich nun die verschiedenen Regungen, mit denen wir uns zuvor identifiziert hatten, vollziehen. Wird dieser ‹Raum› zu unserer Natur, findet der Übergang vom ‹Wachen› zum ‹Wachsein›, zur Geisteshaltung der ‹Achtsamkeit› statt, in der Aufmerksamkeit und Hingabe sich harmonisch ergänzen, worüber Novalis feststellt: «Er glaubt es am höchsten gebracht zu haben, wenn er […] zugleich die gewöhnlichen Geschäfte der Sinne vornehmen, und empfinden und denken zugleich kann. Dadurch gewinnen beide Wahrnehmungen: die Außenwelt wird durchsichtig, und die Innenwelt mannigfaltig und bedeutungsvoll, und so befindet sich der Mensch in einem innig lebendigen Zustande zwischen zwei Welten in der vollkommensten Freiheit und dem freudigsten Machtgefühl.»10
Der den physischen Körper umfassende und ihn durchdringende Ätherleib beginnt sich vom Körper zu lösen, womit das Gefühl des sich allmählichen Ausdehnens über diesen hinaus verbunden ist. Die Grenzen zwischen Innen und Außen werden fließender und es entsteht nicht nur die Empfindung der Verbundenheit mit dem Umraum, sondern die intuitive Wahrnehmung, dass alles im Ich enthalten ist. Dieser Vorgang des sich Weitens geschieht allmählich. Bilden ‹Aufmerksamkeit und Hingabe› die Vorbedingung zur Entfaltung der ‹Achtsamkeit›, stellt die ‹Achtsamkeit› wiederum die Voraussetzung dar, die nächste Stufe zu realisieren, die des ‹Bewusst-Seins›, die Novalis in der Sehnsucht nach der Sophia zu erfahren sucht. Um jedoch von der zweiten Stufe des ‹Wachseins› zu der dritten des ‹Bewusst-Seins› zu gelangen, bedarf es der Gnade, denn diese Ebene unseres Seins kann durch bewusstes Wollen nicht erreicht werden. Bis zur zweiten Stufe können wir uns aus dem Ich heraus entwickeln, um jedoch die Sphäre des ‹Bewusst-Seins› zu verwirklichen, muss die innere Anstrengung in die Seelenfähigkeit der bewusst gesteigerten ‹Hingabe› übergehen. Der Schritt vom ‹Wachsein› zum ‹Bewusst-Sein› durch die Seelenfähigkeit der ‹Hingabe› vollzieht sich nicht wie der Übergang vom ‹Wachen› zum ‹Wachsein› allmählich, sondern plötzlich, indem sich die Ichzentrierung am Haupt löst und wir uns am Grunde unserer Leiblichkeit, eines ‹Turmes›, des Beckens wiederfinden. Auf diese Weise vollzieht sich die ‹Wassertaufe›, die in mystischen Schriften bildhaft als Vermählung von König und Königin in einem Wasserbecken dargestellt wird. Es vollzieht sich die Harmonisierung der polaren Seelenkräfte. Ist diese Einweihung vollzogen, öffnet sich der Scheitelpunkt des Hauptes, durch den die Seele wie in einem Sprung die Körperlichkeit überwindet.
Diese Erfahrung beschreibt Novalis in seinen geistlichen Liedern mit folgenden Worten:
Da ich so im Stillen krankte,
Ewig weint und wegverlangte,
Und nur blieb vor Angst und Wahn:
Ward mir plötzlich wie von oben
Weg des Grabes Stein gehoben,
Und mein Innres aufgetan.
Die Seele löst sich vom physischen und dem ihm zugehörigen Ätherleib über die Hauptespforte hinaus und erblüht in eine Sphäre der Körperlosigkeit, in die des ‹Bewusst-Seins›, eines blauen, von Sternenfunkeln durchdrungenen Meeres, einer ‹blauen Blume› gleich. Der geläuterte Astralleib ist somit reines ‹Bewusst-Sein›, reiner weisheitsvoller Geist, der sich intuitiv seiner selbst bewusst wird und die Grundlage für die Wahrnehmungsfähigkeit aller Wesen bildet. Er wird in der christlichen Spiritualität als ‹Kosmische weisheitsvolle Jungfrau Sophia› bezeichnet, die Novalis durch die drei Stufen der Philosophie zu finden trachtet und im Bild der ‹blauen Blume› ersehnt. Auch leuchtet die Erkenntnis darin auf, dass es solcher Reinheit bedarf, einen höheren Menschen in uns zu gebären. Deshalb wird die Mutter Jesu, die ‹Jungfrau Maria›, im Physischen als Abbild der ‹Kosmischen Jungfrau Sophia› gesehen und auf vielen Bildern mit einem mit Sternen besetzten blauen Umhang und zwölf um das Haupt angeordneten Sternen dargestellt.
Aus dieser Erfahrung empfinden wir mit Novalis:
Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.
Dankbarkeit
In diesem Moment der spirituellen Entwicklung ist es von entscheidender Bedeutung, das Erfahrene richtig einzuordnen. Auch wenn sich das ‹Bewusst-Sein› als reiner Geist seiner selbst bewusst wird, entspricht dies nicht der von Rudolf Steiner geschilderten Sphäre des ‹Geistselbst› oder ‹Heiligen Geistes›. Mancher Mensch mag hier der Versuchung unterliegen, sich am Ziel der geistigen Entwicklung zu wähnen. Eine von tieferer Sehnsucht erfüllte Seele erfährt an diesem Punkt jedoch eine Ernüchterung. Erst die auf dieser Ebene mögliche Begegnung mit dem Christus als dem ‹Großen Hüter der Schwelle› lässt uns durch Seinen Anblick erkennen, wer wir als Person wirklich sind und wer wir werden können, wenn wir Seinem Beispiel folgen und uns wie Er einst aus den himmlischen Welten zur Erde wenden, da wir nur auf Erden in der Vereinigung mit Christus Liebe entfalten können.
Wenn wir diese Ebene der ‹blauen Blume›, der ‹kosmischen Sophia› nicht eigennützig bewahren, vermögen wir mit Novalis den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen: «Gib nur acht auf ein blaues Blümchen, was du hier oben finden wirst, brich es ab, und überlass dich dann demütig der himmlischen Führung.»11 Dann wird eine große Bejahung, eine Dankbarkeit dem Leben gegenüber unsere Seele erfüllen, wodurch sich uns neue Daseinsdimensionen erschließen. Diese innere Haltung der Dankbarkeit wird von Rudolf Steiner folgendermaßen beschrieben: «Und es ist die schönste Art, von seiner Persönlichkeit aus zum Übersinnlichen hingeführt zu werden, wenn diese Führung durch die Dankbarkeit geht, durch die Dankbarkeit gegenüber dem Leben. Diese Dankbarkeit, sie ist auch ein Weg ins Übersinnliche, und sie landet zuletzt bei der Verehrung und bei der Liebe zu dem lebenspendenden Geist des Menschen. Die Dankbarkeit gebiert die Liebe. Die Liebe gebiert dann, wenn sie aus der Dankbarkeit für das Leben geboren ist, das Aufschließen des Herzens für die das Leben durchdringenden Geistesmächte.»12
Für Novalis ist Philo-‹Sophie› die Seele seines Lebens und der Schlüssel zum ‹eigensten Selbst›. So senkt sich das ‹geläuterte Bewusst-Sein› der ‹kosmischen Sophia› in den Brustbereich hinab, errichtet den Altar, an dem das heilige Feuer des Herzens entzündet wird. Sodass Novalis feststellen kann: «Wir sind mit nichts, als mit der Erhaltung einer heiligen und geheimnisvollen Flamme beschäftigt.»13
Durch diese geheimnisvolle, im Herzen brennende Flamme findet Novalis das Tor zum Christus, dem ‹Selbst›, das jedem Menschen als ‹Christus-Ich› innewohnt. Wenn wir mit diesem unserem ‹Selbst› den reinen weisheitsvollen Geist der ‹Kosmischen Jungfrau Sophia› ergreifen, wird er zum ‹Geistselbst›, dem ‹Heiligen Geist›.
Fußnoten
1. Richard Samuel, Novalis-Ausgabe, Bd. 1. Stuttgart 1981, S. 97.
2. Jon Kabat-Zinn, Gesund durch Meditation. München 2013, S. 23.
3. GA 115, S.160.
4. GA 153, S. 20 ff.
5. Novalis, Fragmentensammlung, Blüthenstaub, Nr. 24.
6. Novalis, Heinrich von Ofterdingen. Reinbeck 1963, S. 90.
7. Richard Samuel, Novalis-Ausgabe, Bd. 4. Stuttgart 1975, S. 188
8. Richard Samuel, Novalis-Ausgabe, Bd. 3. Stuttgart 1983, S. 572.
9. Alexander von Humboldt, Aus meinem Leben. München 1989, S. 180.
10. Richard Samuel, Novalis-Ausgabe, Bd. 1. Stuttgart 1981, S. 97.
11. Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaften, Bd. 11, Hg. Ernesto Grassi, Hamburg 1963, S. 96.
12. GA 239 S. 224.
13. Richard Samuel, Novalis-Ausgabe, Bd. 3, Stuttgart 1983, S. 608.
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