Begegnungen mit Sri Ramana Maharshi


Wenn die zwischen uns Menschen ausgesprochenen Worte nur tote Begriffe wären, die in einem ewigen Kreislauf dahintrieben und nicht die Möglichkeit hätten, eine Brücke zu dem Wunderbaren zu errichten, dann wäre das Bemühen, vom Anliegen Maharshis zu sprechen, sinnlos. Ein leeres Blatt müsste an dieser Stelle stehen.
Ramana Maharshi selbst betonte immer wieder, dass er nicht durch Worte sondern durch Stille wirke. Ein leeres Blatt würde zwar inhaltlich dem Bemühen, das Unsagbare, die Stille in ihrer Sinnhaftigkeit zu berühren, am Nächsten kommen, jedoch eine berechtigte Unzufriedenheit verursachen.

Als ich vor ungefähr zwanzig Jahren zum ersten Mal das Buch „Ramana Maharshi, Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala“ in den Händen hielt, wurde ich durch dessen Inhalt unmittelbar berührt. Eine Qualität des Lichtes war für mich darin wahrnehmbar, die ich nur in Verbindung zu dem Herzen kannte.
Seit Jahren hatte ich mich zuvor mit der in uns lebenden Selbstverständlichkeit des Ich-Bewusstseins auseinandergesetzt. Dabei suchte ich weniger die erkenntnistheoretische Auseinandersetzung, als vielmehr die unmittelbare Anschauung, aus der die Erkenntnis hervorgeht.
Die Wahrheit oder das eigentliche ICH war mir nicht etwas, was jenseits unserer vertrauten Welt in einer fernen geistigen Sphäre zu suchen ist, sondern unmittelbar gegenwärtig. Dieses Selbstverständlichste in uns sich jedoch bewusst zu werden, ist zugleich das Leichteste und Schwierigste; leicht, da es keines Schrittes bedarf, schwer, da es so nahe, unmittelbar und selbstverständlich ist. Es ist das Schweben eines Vogels in den blauen Raumesweiten, das Dahingleiten eines Fisches im Meer, das getragene Herabfallen eines welken Blattes, der Raum, der sich durch das wortlose staunende Schweigen erfüllt.
Wenn wir uns die Zeit nehmen, mitten in der äußeren Bewegung des Alltagstrubels der Ich-Empfindung nachzulauschen, dieser inneren Selbstverständlichkeit zu leben und zu Sein, dann berühren wir darin bereits das Wesen ICH.
Aus diesem Hintergrund begegnete ich den Schriften Maharshis.
Die Suche selbst, betonte Maharshi immer wieder, kann nur dem Ich gelten, nicht dem Selbst des Menschen.
Es ergeht uns dabei wie Peter Pan, der seinen Schatten zu ergreifen sucht oder demjenigen, der hinter dem Spiegel nach dem Anwesenden im Raum schaut. Dennoch führt die von Anfang an aussichtslose Suche zu ihrem Gegenpol, zum Innehalten und dadurch zur Seelenstimmung des Gewahrsein. Das Denken über die Welt verwandelt sich zum Schauen der Welt, indem das Suchen sein Ende findet.
Viele Besucher kamen zu dem Weisen, um ihn um Belehrung zu bitten. Es entstanden Gespräche, in denen das Unaussprechliche durch Worte berührt, und im ständigen Suchen das Unfindbare geahnt wurde.
„Sie müssen sich,“ sagte Maharshi, „während der Übung mit ungeteilter Aufmerksamkeit an den <ich> Gedanken halten und seinen Ursprung suchen. Dann werden sie feststellen, dass sich dort, wohin der Atem absinkt, die Quelle des <ich> Gedankens befindet. Beide sinken und steigen gemeinsam. Wenn Atem und <ich> Gedanke still geworden sind, offenbart sich dort [im spirituellen Herzen] ein leuchtendes, ununterbrochenes ICH-ICH-SEIN ohne Grenzen. Das ist das Ziel, für das es verschiedene Namen gibt.“ 1
Jedoch, so betonte Maharshi, drücke die Aussage »ICH BIN der ICH BIN« am besten dasjenige aus, was er zu vermitteln suche.
„Das einzig Bleibende ist die Wirklichkeit, und sie ist das Selbst. Sie sagen <Ich bin> und <Ich bin es, der geht, der spricht, der arbeitet>. Fügen Sie bei allen einen Bindestrich ein: <Ich-Bin.> Das ist die zugrundeliegende und bleibende Wirklichkeit. Diese Wahrheit lehrt Gott Moses: <Ich bin der Ich-Bin.> <Sei still und erkenne, Ich-Bin Gott.> So ist <Ich-Bin> Gott."
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Zum Leben Maharshis

Venkataraman, so der eigentliche Name des Maharshi, wurde im Jahre 1879 in Südindien geboren. Eines Tages, er war gerade sechzehn Jahre alt, ergriff ihn eine Todesahnung die mit der Gewissheit einherging nun sterben zu müssen. Er legte sich auf den Boden und begann bewusst das Sterben zu erforschen. Mit erhöhtem Bewusstsein suchte er denjenigen in sich, der nun sterben würde. So erfuhr er das Sterben in seiner ganzen Bedeutung und erlebte das ICH, welches, losgelöst vom Körper, nicht vom Tod berührt wird. Er machte die Erfahrung, wie er es Jahre später ausdrückte, des reinen ICH BIN, des ewigen Bewusstseins.
Bald darauf verließ Venkataraman heimlich seine Familie und Freunde und machte sich auf den Weg zu dem heiligen Berg Arunachala in Südindien. Hier angekommen ließ er sich den Kopf scheren, gab sein letztes Geld und seine Kleider bis auf ein Lendentuch ab.
Mit den Jahren entfaltete sich ein solcher Friede um ihn, dass immer mehr Menschen zu ihm kamen. Sie lasen ihm die alten heiligen Schriften vor, die ihm fast ganz unbekannt waren, um sie von ihm deuten zu lassen. Venkataraman erkannte in diesen alten Überlieferungen seine eigenen Erfahrungen wieder und eignete sich deren Begriffe an, die er später zur Erläuterung seiner Aussagen anwendete.
Im Jahr 1916 zog Venkataramans Mutter, die von seinem Aufenthalt in einer Höhle bei Arunachala erfahren hatte, zu ihm und kümmerte sich von nun an um die häuslichen Belange der Gemeinschaft. Als sie Jahre später erkrankte, wich ihr Sohn bis zu ihrem Tod nicht von ihrer Seite.
Fast täglich besuchte er das Grab seiner Mutter am Fuße des Berges. Mit der Zeit entstand an dieser Stelle der Ashram Maharshis, der in aller Welt bekannt wurde. Von weit her kamen Menschen, um in seiner Nähe zu sein.

Verweis auf den inneren Lehrer

Obwohl es vorkam, dass Menschen durch Maharshi einen erweiterten Bewusstseinszustand erfuhren, indem sie ihn ganz von Innen erleuchtet sahen, weigerte er sich, seinen Anhängern gegenüber die Rolle eines Gurus einzunehmen. Die Erfahrung des ICH-BIN war ihm nicht etwas, was ihn von den Menschen unterschied, sondern etwas, was ihn mit den Menschen vereinte. Im ICH bestand für ihn die Polarität von Guru und Schüler nicht und so verwies er seine Besucher immer wieder auf sich selbst, auf ihre innere Stimme, den inneren Lehrer. Auch sei es nicht nötig, seine jetzigen alltägliche Verhältnisse zu verlassen, um in Abgeschiedenheit nach Verwirklichung zu suchen. Auf den Wiederspruch angesprochen, dass er doch selbst in jungen Jahren alles zurückgelassen habe, erwiderte er, dies sei sein Karma gewesen, doch wenn jemand ihn frage, ob er alles, wie er, hinter sich lassen solle, so ist das eine Vorstellung, denn wäre es sein Karma, würde derjenige es tun, ohne zu fragen. Schauen sie sich doch um, ist es hier so anders als das was sie verlassen wollen? Die Verwirklichung des Selbst, betonte er immer wieder, kann sich überall und in jedem Augenblick vollziehen, man muss nicht sein gegenwärtiges Umfeld verlassen, denn den unruhigen Geist und all die Identifikationen wird man überall hin mitnehmen.
In den Jahren 1923 - 29 entstanden einzelne Verse von Maharshi. Sie wurden später zu einer Sammlung von Vierzig Versen über das, was ist zusammengefasst. Das Hauptthema, das alle Zeilen wie eine goldener Faden durchzieht, ist die Überwindung der Ich-Begrenzung, indem wir das ewige Licht im Herzen, das als das ICH-BIN Bewusstsein aufleuchtet, verwirklichen.
Obwohl Maharshi immer wieder das Herz, wobei er nicht das physische Organ meint, als den Sitz des ICH nannte, darf es nicht so verstanden werden, als wäre das Selbst des Menschen an einen Ort gebunden. Wir nehmen die Mitte des Menschen vielmehr als das Tor, die innere Sonne, die Quelle, aus der uns das Göttliche in unserer ICH-Wahrnehmung entgegenströmt, wahr.
Als Maharshi 1950 schwer erkrankte, die Menschen um sein Leben bangten und gegen seinen Willen Ärzte holten, sagte er: „Man sagt, ich würde sterben. Aber ich gehe nicht fort. Wohin sollte ich gehen? Ich bin hier.“
Es waren diese schlichten Worte, in denen sich das ewige Wesen unserer wahrer Natur offenbart, die mich vor zwanzig Jahren so unmittelbar berührten.

Begegnung von Ost und West

Einer der vielen Besucher des Ashrams darf allein durch seine Bedeutung als Gelehrter und die ihm allgemein entgegengebrachte Wertschätzung nicht unerwähnt bleiben.
Es ist Carl Friedrich von Weizsäcker, der diese Worte bewahrheitet finden sollte, denn am Grabe Maharshis wird ihm eine Erfahrung zuteil, die sein ganzes Leben verändern sollte.
Am Ende seines Buches "Der Garten des Menschlichen« berichtet Weizsäcker, wie ihn vor zwanzig Jahren ein Besucher bat, er möge, um der hochnotwendigen Verbindung zwischen östlicher Weisheit und westlicher Wissenschaft willen den Kontakt mit bestimmten indischen Weisen suchen. Zu dieser Zeit antwortete Carl Friedrich von Weizsäcker, dass er noch nicht die Reife in sich spüre, dieser Forderung nachzukommen, doch sei er von der Wahrheit der indischen Lehre überzeugt, und gehe davon aus, dass er, wenn die Zeit reif wäre, diesen Weisen begegnen würde.
Im Jahre 1969 kam Friedrich von Weizsäcker dann nach Indien und besuchte den Ashram des Maharshi. "Als ich die Schuhe ausgezogen hatte", schildert Weizsäcker", und im Ashram vor das Grab des Maharshi trat, wusste ich im Blitz: Ja, das ist es. Eigentlich waren schon alle Fragen beantwortet. Das Wissen war da, und in einer halben Stunde war alles geschehen. Ich nahm die Umwelt noch wahr, den harten Sitz, die surrenden Moskitos, das Licht auf den Steinen. Aber im Flug waren die Schichten, die Zwiebelschalen durchstoßen, die durch Worte nur anzudeuten sind: ›Du‹ - ›Ich‹ - ›Ja‹. Tränen der Seligkeit. Seligkeit ohne Tränen.
Ganz behutsam ließ die Erfahrung mich zur Erde zurück. Ich wusste, welche Liebe der Sinn der irdischen Liebe ist. Ich wusste alle Gefahren, alle Schrecken, aber in dieser Erfahrung waren sie keine Schrecken. Sollte ich nun immer hier bleiben? Ich sah mich wie eine Metallkugel, die auf eine blanke Metallfläche fällt und nach der Berührung eines Augenblicks zurückspringt, woher sie kam. Ich war jetzt ein völlig anderer geworden: der, der ich immer gewesen war ... Mit unendlicher Sanftheit verließ mich langsam die Erfahrung in den kommenden Tagen und Wochen. Ihre Substanz ist immer bei mir."
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Dreißig Jahre nach dieser Schilderung führte ich in Bezug zu der Arbeit an meinem Buch einen Briefwechsel mit Herrn Weizsäcker. Durch seine Zeilen war die Substanz, von der er spricht, für mich gegenwärtig und ein Verstehen über die geschriebenen Worte hinaus möglich.
Maharshi gehört für mich zu den Menschen, die jenseits aller äußerlichen kulturellen und religiösen Unterschiede an dem gemeinsamen Strom mitarbeiten, den wir unabhängig unseres Bekenntnisses aus unseren Herzen heraus zu entfalten suchen.


1 Ramana Maharshi, Gespräche des Weisen vom Berge Arunachala, Interlaken 1984
2 Carl Friedrich von Weizsäcker, Der garten des Menschlichen, München 1978.



Artikel von Zoran Perowanowitsch Buchvorstellung

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