EINLEITUNG


Die gegenwärtige, globale Veränderung der Verhältnisse, die sowohl die ganze Kultur als auch den gesamten Erdorganismus erfaßt und sich in ihrem ganzen Umfang immer schneller zu offenbaren beginnt, stellt eine bisher noch nie dagewesene Herausforderung dar, die nur von einem verwandelten Menschen, der aus innerer Freiheit in Einklang und Harmonie mit den Gesetzen des Lebens denkt, fühlt und will, beantwortet werden kann. Hierin kommt den Religionen eine bedeutende Aufgabe zu, da die politischen Grenzen verstärkt an Bedeutung verlieren und die durch die Religionszugehörigkeit gegebenen immer stärker hervortreten.
Wir haben bis zu einem gewissen Grad die Gemüts- und damit die Glaubenskräfte unseres Wesens für die Entwicklung des wachen Ich-Bewußtseins geopfert und versuchen nun, aus den neuerworbenen Bewußtseinskräften heraus einen neuen Zugang zu den Inhalten unseres Glaubens zu finden, damit sich der Übergang vom Glauben an den Christus zum inneren Erfahren des Christus vollziehen kann. Denn das direkte Erleben des Christus durch das erwachte Ich-Bewußtsein gewinnt an Bedeutung, und die Einsicht erwacht im Menschen, daß sein ganzes Sein verstärkt in die kosmischen Prozesse einbezogen wird. Eine Wechselwirkung, eine Befruchtung zwischen Himmel und Erde, die als eine Notwendigkeit erlebt wird, findet statt, in der keine Institution sich bewahren, nichts beim alten bleiben kann. Es ist die Zeit, in der sich die Menschheit den kosmischen Weiten zu öffnen beginnt und dem Bewußtsein, das den Raum nicht als leer im Sinne von leblos schaut, sondern in den Raumesweiten die kosmische Entsprechung der eigenen Wesensweite erkennt, eine besondere Bedeutung zukommt. Somit ist der heutige Mensch nicht unreligiös, im Gegenteil, eine neue Religiosität, die ihn mit der göttlichen Welt in Einklang zu bringen sucht, durchdringt ihn, erfüllt ihn mit der Ahnung der bewußten Mitgestaltung an der Erfüllung des Erdendaseins. Eine natürliche und notwendige Entsprechung dazu ist die tiefgreifende Krise, in der sich die gegenwärtige Kultur befindet.
Die Hinwendung zum mystischen Leben, das früher nur einzelnen zugänglich war und zu Seins-Erfahrungen jenseits des persönlichen Fühlens und Denkens führt, beginnt sich verstärkt durchzusetzen, die Bereitschaft, die Grenzen der eigenen Vorstellungen zu überwinden und das Denken in Freiheit neu zu ergreifen. Doch nicht eine weltfremde Mystik, die das Irdische leugnet, wird gesucht, sondern gerade eine, die das Irdische durch den mündig gewordenen Menschen, der den Christus als gegenwärtig lebendige Wesenheit erkennt, zu erhöhen vermag. Das Christentum soll nicht äußeres religiöses Leben sein, sondern das Leben von innen durchdringen und verwandeln. Ein Verhältnis zu Leben und Erde wird gesucht, das seine Erfüllung in dem Wiedererkennen des lebendigen Christus finden kann, dessen Realität über alle Bekenntnisse und Vorstellungen hinausgeht. Dadurch gewinnt verstärkt das Bewußtsein einerseits vom Raum und dem darin waltenden Licht, und andererseits von der Erde als einem lebendigen Organismus, immer mehr an Bedeutung. Um dieser Entwicklung gerecht zu werden, muß das Christusverständnis erneuert werden. Es ist eine Christologie, in der der lebendige, der gegenwärtige Christus als das Wesen des Raumes, des Lichtes und des Lebens erkannt wird, der den ganzen Erdorganismus umfaßt, ihn mit seinem Wesen durchdringt und dadurch sich über alle Gegensätze von Ost und West in beiden zu offenbaren vermag.
Wenn Christus eine geistige Realität ist, muß diese auch im Osten wirken und erlebt werden können, jedoch eine andere, der Kultur entsprechende Zuordnung erfahren. Somit wäre der Absolutheitsanspruch des Westens, in allgemein gültiger Weise das Christusereignis zu verstehen und zu vertreten, nicht mehr haltbar und der notwendigen Begegnung der Kulturen hinderlich.
Dieser Anschauung kommt die römisch-katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil entgegen, indem sie bekennt, daß sie, »was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft miteinander führt«, fördern will, denn sie weiß, daß die Menschen »von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins« erwarten, »die wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen«. Sie nennt die großen Religionen Asiens, den Hinduismus und Buddhismus, später den Islam und das Judentum. Ehe die Kirche aber in dem Konzil auf die Abrahamsreligion zu sprechen kommt, stellt sie ausdrücklich fest:
»Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, der alle Menschen erleuchtet. Unablässig aber verkündet sie und muß sie verkündigen Christus, der ist >der Weg, die Wahrheit und das Leben<, in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat. Deshalb mahnt sie ihre Söhne (und Töchter), daß sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.«
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Weiterhin empfiehlt das Konzil die Meditationen des Ostens in die kontemplativen Orden zu integrieren, wodurch der östlichen Meditationspraxis ein wichtiger Beitrag zum besseren Verstehen und Vertiefen der eigenen christlichen Erfahrung beigemessen wird. Auch wird das Buch »Zen - Weg zur Erleuchtung« von dem Jesuitenpater Enomiya Lassalle, das 1958 erschienen ist und dem anfänglich viel Mißverständnis entgegengebracht worden ist, freigesprochen.

Wenn Christus sich mit der ganzen Erde und Menschheit verbunden hat, so können wir nicht andere Religionen ausschließen, sondern müssen das Wirken des lebendigen Christus auch in ihnen wiederzufinden suchen, um auf Grund der inneren geistigen Erfahrung den gemeinsamen »Namen« zu finden. Somit kann es nicht unser Anliegen sein, den Osten von der Richtigkeit unseres Glaubens zu überzeugen, sondern vielmehr den Christus in seiner allumfassenden Wirksamkeit auch in der Kultur des Ostens zu finden. Können wir den Christus außerhalb unseres Bekenntnisses nicht erkennen, kann ein allgemeiner Anspruch nicht aufrechterhalten werden.
Der japanische Philosoph Keiji Nishitani, der nach dem allen religiösen Bestrebungen zugrundeliegenden Ideal sucht, kann es im gewordenen Christentum, obwohl er in ihm, wenn auch nicht in heutiger Form, die Religion der Zukunft erkennt, nicht finden. »Ich bin mit keiner Religion, wie sie ist, zufrieden«, sagt er, »und ich spüre auch die Grenzen der Philosophie. So habe ich mich nach langem Zögern entschieden und bin heute ein werdender Buddhist geworden. Einer der Hauptgründe für diese Entscheidung war - so merkwürdig es klingen mag -, daß ich den Glauben des heutigen Christentums nicht annehmen konnte, und doch auch nicht in der Lage war, ihn abzulehnen. Was das Christentum angeht, so kann ich nicht mehr als ein werdender Christ werden … Denn ich kann mich nicht dazu bringen, den Buddhismus als eine falsche Lehre zu betrachten. Wenn es um den Buddhismus geht, so kann ich den Buddhismus annehmen als ein werdend gewordener Buddhist … und von diesem Standpunkt aus kann ich zur selben Zeit ein werdender (nicht gewordener) Christ sein. Doch halte ich das Christentum nicht für eine falsche, eine häretische Lehre … Vom Standpunkt des Buddhismus aus kann ich das … Die Christen sind geneigt, schlecht über solche buddhistische >Laxheit< zu sprechen, doch ich fühle nicht so, und nach meiner Meinung können Menschen, die so fühlen, unmöglich zu einem wahren Verständnis des Buddhismus kommen.«
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Der erste wichtige Schritt der Annäherung ist die Anerkennung eines Wahrheitgehaltes in den verschiedenen Ausdrucksformen der Religionen, dann die Suche nach dem gemeinsamen »Namen«. Denn weder der Osten noch der Westen kann das hohe Erden- und Menschheitsideal, das in Christus verkörpert ist, für sich in Anspruch nehmen, sondern sie müssen sich gemeinsam in Christus wiederfinden.

1 Hans Waldenfels, An der Grenze des Denkbaren, München 1988, S. 58

2 Keiji Nishitani, Was ist Religion, Frankfurt am Main 1982, S. 29 f.


Artikel von Zoran Perowanowitsch Buchvorstellung Buchbesprechung


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