Herzdurchströmender Lebensquell



Obwohl das Zeichen des Kreuzes heute als Symbol für das Christentum steht, war es bereits in vorchristlicher Zeit innerhalb der verschiedenen Kulturen bekannt. Seine Bedeutung wird unterschiedlich interpretiert, beispielsweise als Symbol für die vier Himmelsrichtungen, die vier Elemente oder für den physischen Körper des mit ausgebreiteten Armen stehenden Menschen.

Um den Symbolgehalt des Rosenkreuzes zu verstehen, ist es nötig, den Blick auf die Bewusstseinsentfaltung innerhalb der verschiedenen Einweihungsvorgänge zu richten, die dann in den unterschiedlichen Kreuzesformen zum Ausdruck kommt.

Vorstellungen bilden vielfältige Ursachen für Empfindungen und Empfindungen sind wiederum Ursachen für Vorstellungen. Gewöhnlich folgt der Mensch innerlich diesem ständigen Prozess, der sein Bewusstsein im Zeitenlauf bestimmt. Da wir darin keine Freiheit erfahren können, beginnt eine esoterische Schulung mit der Bemühung um die Verwandlung des Vorstellungs -und Empfindungslebens. Nicht ein willkürliches Leben sollen unsere Vorstellungen und Empfindungen führen, denen wir dann als unsere Realität folgen, sondern wir sollen sie in die innere Stille führen. Je mehr sich eine Harmonie des Seelenlebens entfaltet, umso mehr wird das Haupt „leer“ werden. In diesem inneren Raum der Leere erfahren wir eine Erweiterung, indem intuitiv seine Entsprechung zu dem kosmischen Raum der Weisheit, der Fixsternsphäre, zum Bewusstsein, zum Geist selbst, erfahren wird. Dieses Bewusstsein drückt sich durch das Ankh-Kreuz der Isis, der ägyptischen Sophia aus.

Der Symbolgehalt der folgenden Kreuze erschließt sich durch die Betrachtung einer Darstellung aus dem Buch „Geheime Figuren der Rosenkreuzer“. Auf diesem Bild (1) wird durch einen schmalen sternenbesetzten Ring um das Herz auf die kosmische Weisheit Sophia hingewiesen. Das Bewusstsein der Fixsternsphäre, das in der Isis-Sophien-Einweihung durch das Entleeren des Vorstellungslebens verwirklicht wurde, senkt sich aus den kosmischen Weiten herab und umschließt das Herz. Diesen Vorgang finden wir durch das Irische Kreuz symbolhaft dargestellt. Da das Bewusstsein nun frei von der gewöhnlichen Ich-Wahrnehmung in seiner „Leere“ als wesenlos erfahren werden kann, unterliegt der Mensch, der diesen Entwicklungsschritt nicht selbstlos vollzieht, einer Gefahr. Er verfällt in der Abstraktion und der darin liegenden Schönheit der Eitelkeit. Diese wiederum führt zu einem unverhältnismäßigen Selbstbewusstsein und damit zur Unfähigkeit der Hingabe an ein Ideal außerhalb seiner selbst.

Seitlich im Bild wird auf diese Gefahr, vor der die Seele bei der Einweihungvorbereitung steht, hingewiesen: Der gestirnte Himmel im Herzen mit seiner Wirkung und Kräften ist der Eitelkeit unterworfen... Senkt sich jedoch die von Vorstellungen geläuterte Seele in ihrer Reinheit selbstlos in das Herz der alten Creatur, um das Zentrum zu umschließen, dann öffnet sich das Herz der neuen Creatur und das Leben im Licht beginnt.

Dadurch bezieht sich das Bild auf den ersten Brief des Johannes: Diese Figur erklärt die I. Epist. Johannes, und dieselbe erkläret diese Figur, indem Johannes ein Leben im Licht bezeugt.

Im Lichtstrom atmendes Herz

In den Religionen und den verschiedenen spirituellen Bewegungen wird dem Herzen eine zentrale Bedeutung in der Bewusstseinsentfaltung des Menschen beigemessen. Auch in der Umgangssprache wird, wenn von bestimmten Empfindungen gesprochen wird, auf das Herz verwiesen. Diese Bezüge haben nicht nur einen symbolischen Charakter, sondern sind Ausdruck realer Erfahrungen, denen wir uns, indem wir unmittelbar den Regungen unserer Empfindungen folgen, nähern können. Dabei stellen wir fest, dass manche Empfindungen mehr dem Brustbereich angehören und andere konzentrierter aus unserer Mitte hervorgehen.

Während die dem Brustbereich angehörenden Empfindungen in ihrer Farbenvielfalt eher einen persönlichen Charakter besitzen, so entsprechen die aus der Mitte entspringenden allgemeineren ideellen Gefühlen. Mit der Zeit werden wir Vertrauen und Sicherheit in unsere Erkenntnisfähigkeit gewinnen und feststellen, dass das Licht aus unserem „Herzen der Mitte“ nicht nur von Innen nach Außen, sondern auch von Außen nach Innen fließt. Im Herzen haben wir somit den Schnittpunkt zweier Welten und ein übergeordnetes Sein, das die zwei polaren Erlebensformen von Innen und Außen durchdringt und dadurch in einem Leben vereint.

Wenden wir uns aus diesem Hintergrund dem Bild der Rosenkreuzer zu, dann werden wir die darin enthaltenen Aussagen verstehen können:

1.Abbildung des menschlichen Herzens von der Alten und neuen Creatur.

2.Diese Schrift muß von Innen heraus und von Aussen hinein verstanden werden.

Wenn wir von der Mitte und dem Herzen des Menschen sprechen, dann beziehen wir uns nicht auf das physische Organ, welches im Bild als Herzen der Alten Creatur bezeichnet wird und das in roter Farbe als äußerer Umriss dargestellt ist. Viel mehr geht es um das „spirituelle Herz der Mitte“ der neuen Creatur, das sich nicht auf der linken Seite unserer Brust befindet, sondern in deren Mitte, die wir auch berühren, wenn wir auf unser Ich hinweisen.

Mittelpunkt und Urgrund

Dieses Bild bezieht sich jedoch auf verschiedene Ebenen des Verhältnisses von Innen und Außen: „Alles was in der großen Welt ist, das ist auch im Menschen, denn er ist daraus geschaffen, darum ist er die kleine Welt, und hat alles in dem Mittelpunkt seines Herzens. Das merke wohl“. Und weiter wird gesagt: „Gott hat alle Menschen aus Liebe wiedergeboren, und ihnen das Licht schon im Mutterleibe wiederum angezündet, und er ist selber das Licht, der Morgenstern, scheinet von Innen heraus“.

Der Lichtstrom des Herzens von Innen nach Außen und von Außen nach Innen, der unserer Wahrnehmung vorrangig zugänglich ist, kann als „Lichtatmungsprozess“ bezeichnet werden. Durch diesen gestalten wir, unserem Bewusstsein entsprechend, in der Ausatmung die Welt und verwandeln in der Einatmung unsere Leiblichkeiten um.

Wenden wir uns jedoch dem Mittelpunkt des Bildes zu, dann können wir ein, von einem Kreis umschlossenes Zentrum erkennen, das durch das Wort „Punct“ bezeichnet wird. Darin wird auf die Quelle des Lichtes selbst hingewiesen, auf das göttliche Prinzip des Vaters aus dem der Sohn der Liebe, der Morgenstern hervorgeht. Durch ihn wird das Licht des Lebens im Herzen des Menschen entzündet und die von uns zuerst besprochene Bewegung „von Innen heraus“ eingeleitet.

Aus dem Christuslicht wurde die große Welt geschaffen, die im Menschen ihr Abbild hat, „darum ist er die kleine Welt, und hat alles in den Mittelpunkt seines Herzens. Das merke wohl“. Im Zentrum des Herzens, aus dem das Christuslicht geboren wird haben wir die unauslotbare und unergründliche Quelle, den Ungrund; in ihm erreichen wir die Grenzen des Vorstellbaren, das eigentliche Mysterium des Seins, das des Vaters.

In einem Vortrag fordert Rudolf Steiner den nach Erkenntnis der geistigen Welten Suchenden zum Erleben eines solchen Punktes auf, „der alles enthält, und aus dem alles hervorquillt, der nichts und alles ist, der die Einheit von Sein und Kraft enthält. Es gehört zu den Geheimnissen“, betont Rudolf Steiner, „sich hineinzuversetzen in einen solchen Zustand, dass man erleben kann, wie aus dem Nichts das All entspringt“.1

Somit offenbart sich im Herzen von Innen nach Außen die Trinität des Vaters im unergründlichen „Punct“. Aus diesem geht als seine erste Offenbarung der Sohn Christus als das Licht der Welt hervor, der in seiner Liebe die Grundlage der Schöpfung bildet und als der Morgenstern im Herzen der Menschen aufleuchtet. Der Raum, die Fixsternsphäre, wird von Sophia, dem Hl.Geist, mit Bewusstsein und Weisheit erfüllt. Auf diese Zusammenhänge wird durch die beiden Dreiecken unterhalb des Herzens hingewiesen, in deren Zentrum der „Punct“, der Ursprung des Seins, mit den Worten: alles in allen bestimmt wird. Es ist die kosmische Trinität von Vater, Sohn und Hl. Geist die wir in der Entfaltung der Weisheit im Menschenherzen als die Gegenwart Gottes und die unmittelbare Liebe des Christus erfahren. Somit hat der Mensch alles in dem Mittelpunkt seines Herzens.

Da der im Göttlichen wirkende Wille dem Menschen jedoch nicht unmittelbar zugängig ist, muss er sich, wie wir auf der Darstellung in dem aus dem Herzen zu Gott hinströmenden Licht lesen können, an den zur Rechten Gottes stehenden Sohn wenden. In Christus verkörpert sich das höchste für uns Menschen vorstellbare Ideal als Brücke zu dem unbegreiflichen Quell des Seins.

Die hier behandelten Erfahrungen führen nicht unbedingt zur gleichen Erkenntnis. Ein zur Abstraktion neigender Mensch wird das Licht als eine physischen Gesetzen folgende Energieform verstehen, während ein mehr empfindender Mensch durch solches Erleben tiefe seelische Erfahrungen haben kann. Beiden Erlebnismöglichkeiten ist es jedoch nicht gegeben, Wesenhaftes im Licht zu erfahren. Denn nur dem Wesen des Menschen, das nicht in kosmischen Weiten, sondern nur im menschlichen Herzen zu finden ist, ist es möglich, Wesenhaftes außer seiner selbst schauen zu können.

Die aus dem „Lichtherzen“ hervorgehenden Qualität können wir zwar in jedem Menschen unabhängig seines kulturellen und religiösen Hintergrundes in besonderer Art aufleuchten sehen; als eine allgemeine im äußeren Umraum der Erde wirkende wesenhafte Lichtqualität, an die sich alle Menschen wenden können, offenbart sie sich jedoch erst seit der Inkarnation des Christus. Darin haben wir nicht nur eine weisheitsvolle Lehre, der wir folgen können, sondern eine wirkende Realität, die uns in der Hingabe unmittelbar zu verwandeln vermag.

Das zum Tor werdende Herz

Die Aussage des nächsten Bildes (2) stellt eine unmittelbare Entsprechung zum inneren Erleben des Rosenkreuzes dar.

Der von roten blühenden Rosen umgebene Christus weist auf das brennende Herz in der Mitte seiner Brust hin. Das Herz ist der „Schnittpunkt“, in dem das Licht die polaren Ebenen unseres Seins in einem Leben verbindet; dadurch wird es das „Tor“ zu der Quelle des Lebens selbst, auf das der Christus in seinen Worten „Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben“, hinweist. Durchdringen wir unsere von ungeklärten Vorstellungen und Empfindungen befreite Seele mit der Christuswesenheit, dann löst sich der das Herz bedrückende Kranz. Das Herz öffnet sich, wird zum Tor, die „Flamme“ löst sich aus dem zuvor beengten Herzen; die sich im Mittelpunkt des Kreuzes befindende Rose erblüht, worin wir den Ursprung und die eigentliche Bedeutung des Rosenkreuzes haben. Die befreite Seele erhebt sich aus dem Herzen als Feuervogel Phönix zur Christussonne, um sie, die makrokosmische Entsprechung seiner Ich-Wesenheit, sehnsuchtsvoll mit seinen Schwingen zu umfangen.

Innerhalb der Rosenkreuzerschulung wird dieser Einweihungsvorgang, dem imaginativen Erleben entsprechend, im Bild des Sonnenvogels Phönix dargestellt.

Da dieser Prozess der Verwandlung, der Suche nach der eigentlichen Heimat unserer Wesenheit, ein immerwährender ist, muss der Sonnenvogel Phönix die Umwandlung, das Sterben und Wiederauferstehen, immer wieder durchleben, was im folgenden Bild (3) mit dem Namen „Kosmische Rose“ dargestellt ist.

Auf dem dunklen Innenkreis des Bildes steht die lateinische Inschrift: vere filius dei erat ipse,-“wahrlich, er war der Sohn Gottes“ und auf dem Sonnenkranz ist, IN HOC SIGNO VINCES, zu lesen, was: „In diesem Zeichen wirst du siegen“ bedeutet.

Wir sehen eine Sonne mit fünf Haupt - und dazwischen jeweils acht Flammen. Die fünf als Pentagramm angeordneten große Flammen, stehen für die Rose und das kosmische Lichtwesen Christus, die acht Flammen dazwischen für die Erhöhung der vier Elemente und damit für die Auferstehung. Wie der Christus, indem er den Tod am Kreuz überwindet zur kosmischen Rose erblüht, so erfährt auch der Mensch durch die Überwindung der Grenzen des physischen Leibes, des beengten Herzens, die Auferstehung des vollkommenen Menschen (Phönix) und das Bestreben, sich mit dem Christus, als sein kosmisches Urbild zu vereinen.

Dadurch beginnt eine neue Ebene der Bewusstseinsentfaltung, in der wir uns am Anfang einer unermesslichen Dimension des wirkenden Willens wiederfinden. Nun kommt der Seelenfähigkeit der vertrauensvollen Hingabe und der damit verbundenen Gnade eine immer größere Bedeutung zu.

In einem Vortrag beschreibt Rudolf Steiner den Seelenzustand, von dem der strebende Mensch durch das Erblühen der „Rose“ ergriffen wird: „Christus ist ein Sonnengeist, ein Feuergeist. Sein Geist ist es, der sich uns im Sonnenlicht offenbart. Sein Lebensodem ist es, der in der Luft die Erde umspült und der mit jedem Atemzug in uns eindringt...Nicht von uns aus können wir selbst rein und heilig werden, sondern nur von diesem Christus-Leben aus. All unser Streben und Ringen ist vergebens, solange uns nicht dies höhere Leben erfüllt. Das allein kann wie ein lauterer, reiner Strom alles hinwegspülen aus unserem Wesen, was noch ungeläutert ist. Es ist der Seelengrund, aus dem dies reinigende Lichtleben aufsteigen kann. Dort müssen wir unsere Wohnung suchen, zu Seinen Füßen und der Hingabe an Ihn. Dann wird Er uns selbst umwandeln und uns selbst mit Seinem göttlichen Liebesleben durchströmen, bis wir licht und rein werden wie Er; Ihm ähnlich. Bis Er sein göttliches Bewußtsein mit uns teilen kann“.2

Aus diesen hier geschilderten seelischen Erfahrungen ist das Symbol des Rosenkreuzes entstanden. Es soll uns daran erinnern, dass wir in uns selbst, in unserem Herzen das Tor zum vollkommenen Menschen, dem Christus selbst, haben.

Bildnachweis:

1 Bildausschnitt, “Geheime Figuren der Rosenkreuzer“. Berlin 1919

2 Mehrfarbige Lithographie geprägt J. Müller, München um 1900

3 „Kosmische Rose“ Amphitheatrum Sapientiae Aeternae, 1609


Anmerkungen

1 Ernst Bindel, Die geistigen Grundlagen der Zahlen, Frankfurt am Main, 1983, S.14.

2 Rudolf Steiner, GA 266 Band 3, 24. September 1907, S. 346


Artikel von Zoran Perowanowitsch Buchvorstellung


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